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… und plötzlich fallen sieben Jahre Aufbauarbeit

in sich zusammen wie ein Kartenhaus

(sm) Katastrophe, Desaster, Offenbarungseid, Demütigung - welche Worte könnten am treffendsten zusammenfassen, was sich da am 30. April ab 15.30 Uhr im Mainzer Bruchwegstadion ereignete? Eine vollkommen überforderte und seltsam gehemmt wirkende Eintrachtelf ließ sich nahezu widerstandslos abschlachten von einer (zugegeben: sehr starken) Mainzer Mannschaft, die von der ersten Minute an das zeigte, was so kurz vor Saisonende eigentlich auch und gerade bei einer um den Klassenerhalt kämpfenden Mannschaft selbstverständlich sein sollte: Kampf, Einsatz und unbedingter Siegeswille. Die bittere Wahrheit dieser Partie lautete: Mainz wollte den Derby(?)-Sieg und die Euro League offenbar mehr als unsere Spieler den Klassenerhalt. Schallender kann sich die Ohrfeige nicht anfühlen, die alle Eintrachtfans im Bruchwegstadion erleben und erleiden mussten.

Und da zeitgleich praktisch alle anderen Abstiegskandidaten gewannen, erscheint nunmehr, zwei Spieltage vor Rundenschluss, ein direkter Abstieg sogar wahrscheinlicher als das Erreichen der Relegationsspiele. Nach 15 Rückrundenspielen, die nur acht Punkte brachten (bei einem Torverhältnis von 6:23), ist die Eintracht dem Abgrund ganz nah.


Als Katastrophe oder Desaster muss man aber nicht nur den letzten erbärmlichen Auftritt in Mainz bezeichnen, sondern die gesamte Saison und, mehr noch, die ganze Entwicklung, die Eintracht Frankfurt zuletzt genommen hat. Wie konnte es zu einem solchen Absturz kommen, fragen sich unisono die Medien und der leidgeprüfte Eintrachtanhang. Wie konnte es zu einem solchen Absturz kommen - das sollten und müssen sich aber auch die Verantwortlichen fragen, der Vorstand ebenso wie der Aufsichtsrat.

Dessen Vorsitzender Wilhelm Bender beobachtet das Saisonfinale aus der Ferne, er befindet sich derzeit im Urlaub. In seinem ersten Jahr als Aufsichtsratschef ist Bender nicht gerade als Motor für Veränderungen in Erscheinung getreten. Zu Beginn seiner Amtsperiode, im letzten Juli, gab er ein Interview und betonte dabei vor allem den Wunsch nach Kontinuität und seine Loyalität zu Heribert Bruchhagen ("Wir stehen für Kontinuität"). Eine kleine - damals allerdings weit verbreitete - Fehleinschätzung leistete er sich ebenfalls: "Wir sind nicht mehr mit Abstiegsängsten konfrontiert, damit ist schon viel erreicht". Danach wurde es lange Zeit sehr ruhig um ihn, erst im Februar meldete er sich nach den ersten sechs tor- und sieglosen Rückrundenspielen erneut in einem Interview zu Wort: "Ich habe Vertrauen zum Trainer, zu Vorstandschef Heribert Bruchhagen sowieso". Er sagte aber auch: "Es kann nicht sein, dass hier das verloren geht, was wir uns in den letzten Jahren aufgebaut haben. Das geht nicht. Und es kann auch nicht sein, dass sich die Eintracht-Welt in ein paar Wochen so sehr verändert hat".

Nun, da das Undenkbare doch eingetreten ist, wird auch Bender ("Ich bin es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen. Und nicht nur, wenn es läuft. Ich bin kein Schönwetter-Kapitän") umdenken müssen. Nun, nachdem das erste Jahr seiner Amtszeit als Aufsichtsrats-Vorsitzender vermutlich mit dem Abstieg - und nebenbei, mit einem ganz erheblichen Minus auch in der finanziellen Bilanz - endet, wäre wohl nur ein verantwortungsloser Schönwetterkapitän töricht genug, ein bloßes "weiter so!" als taugliches Konzept für Wiederaufstieg und Neuanfang verkaufen zu wollen.

Die Bilanz der Ära Bruchhagen

Aber nicht nur Wilhelm Bender, auch Heribert Bruchhagen wird um eine selbstkritische Überprüfung seiner Standpunkte nicht umhinkommen. Bislang galt die Schaffensperiode bei der Frankfurter Eintracht als Höhepunkt seines bisherigen Berufslebens, hier hat er deutlich mehr und intensivere Spuren hinterlassen als bei seinen früheren Stationen HSV, Schalke, Bielefeld und DFL. Der Umstand, aus der finanziell in Nöten und sportlich im Fahrstuhl steckenden Eintracht einen seriösen und etablierten Erstligisten gemacht zu haben, galt als große und anerkennenswerte Leistung des Managers Bruchhagen.

Doch auch diese Erfolgsgeschichte droht nun unterzugehen, seine Bilanz sieht nicht mehr ganz so positiv aus: Als er am 1. Dezember 2003 das Amt als Vorstandsvorsitzender der Eintracht Frankfurt Fußball AG antrat, hatte die Eintracht gerade das letzte Spiel vor der Ära Bruchhagen auf der Baustelle des alten Waldstadions mit 3:2 gegen den VfL Wolfsburg gewonnen und belegte den 16. Platz der Fußball-Bundesliga. In der gegen Wolfsburg siegreichen Elf standen u.a. Alex Schur, Uwe Bindewald, Christoph Preuß, Andy Möller, Du Ri Cha, Chris und Ervin Skela - und, natürlich, Oka im Tor. Ein paar Monate später, im Frühjahr, bekam Eintracht Frankfurt die Lizenz für die Spielzeit 2004/05: Ohne Auflagen im Erstligafall, mit der Auflage eines Liquiditätsnachweises über 1,5 Millionen Euro im Abstiegsfall.

Rund sieben Jahre später ist die Eintracht wieder auf Platz 16 der Tabelle angelangt. Vor wenigen Tagen gab es die Lizenz für die Spielzeit 2011/12: Ohne Auflagen im Erstligafall, mit der Auflage eines Liquiditätsnachweises über 1,2 Millionen Euro im Abstiegsfall.

Dass sich Eintracht Frankfurt in den vergangenen sieben Jahren wesentlich weiter entwickelt habe, lässt sich aus diesen Zahlen nicht ableiten. Weder sportlich bzw. im Tabellenbild, noch wirtschaftlich. Auch der Kader dürfte (insbesondere im Abstiegsfall, in dem mancher Spieler wie Ochs und Schwegler ablösefrei wechseln darf) nicht wesentlich mehr Potential für Transfererlöse hergeben als jener des Jahres 2004. Verändert haben sich natürlich die Rahmenbedingungen: das neue Stadion, die WM-Hype, Zuschauerboom, Logen und Business-Seats ließen die Umsätze explodieren. All das hat aber letztlich nicht zu mehr genutzt werden können als zur Bewahrung des status quo.

Unbestreitbar sind die - sportlichen und wirtschaftlichen - Erfolge der Anfangszeit: nach dem Abstieg 2004 gelang gleich der Wiederaufstieg 2005; und 2006 und 2007 erwirtschaftete die Eintracht Frankfurt Fußball AG nicht unerhebliche Gewinne (als im Zuge des neuen Stadions die Einnahmen höher lagen, als zunächst veranschlagt und zwei ordentliche DFB-Pokalspielzeiten und der UEFA-Cup zusätzliches Geld in die Kassen spülte).

Dürftige Transferbilanz

Aber die sich daraus ergebenden Möglichkeiten wurden allenfalls suboptimal genutzt. Die gröbsten Fehler der Vergangenheit dürften unbestreitbar in unserer Transferpolitik (und damit bei der Kaderzusammenstellung) gemacht worden sein. Das in den ersten Jahren nach dem Aufstieg 2005 erwirtschaftete Geld wurde - überspitz gesagt - weitgehend sinnlos verprasst. Oder vornehmer formuliert: Der sportliche Mehrwert der von Eintracht Frankfurt getätigten Verpflichtungen blieb deutlich hinter dem finanziellen Aufwand zurück.

Die ziemlich unbefriedigende Bilanz der Transferaktivitäten der letzten Jahre gibt durchaus einen Fingerzeig, wo die größten Probleme der Eintracht liegen.

Schon seit Jahren verpflichtet Eintracht Frankfurt entweder Spieler aus dem Ausland (meist angeboten vom Spielerberater Koutsoliakos) - oder "alte Bekannte" aus der Bundesliga, die ihren Zenit meist schon überschritten haben (Mahdavikia, Bajramovic, zuletzt Gekas und Altintop). Natürlich kam so auch der ein oder andere sinnvolle Transfer zustande - trotzdem scheint vieles dem Zufall überlassen, eine klare Strategie ist nicht erkennbar, wenn sich Eintracht Frankfurt auf dem Transfermarkt bewegt. Und von Transfercoups, wie sie in diesem Jahr bspw. Freiburg mit Papis Demba Cisse, Dortmund mit Kagawa oder Hannover mit Ya Konan und Abdelloue gelungen sind, ist Eintracht Frankfurt weit entfernt.

Insbesondere die zweite Liga scheint von der sportlichen Leitung der Eintracht ignoriert zu werden - obwohl von dort immer wieder Spieler in die Bundesliga kommen, die auch eine Klasse höher durchaus für Furore sorgen (Marco Reus, Lewis Holtby, Sami Allagui, die Bender-Zwillinge, Moritz Stoppelkamp, Kevin Großkreutz u.v.a.). Der letzte Spieler, der aus dem Unterhaus an den Main wechselte, war Francisco Copado von Unterhaching… Ob bei Eintracht Frankfurt überhaupt jemand die zweite Liga beobachtet, erscheint fraglich.

Fraglich dürfte auch sein, ob sich Eintracht Frankfurt auch zukünftig den Luxus erlauben sollte, der einzige (nicht von Felix Magath trainierte) Profiverein zu sein, der auf einen Sportdirektor verzichtet. Ligaweit sind Sportdirektoren gang und gäbe; auch bei Vereinen, die sich "starke" und prominente Geschäftsführer oder Vorstandsvorsitzende leisten. Ob Dortmund auch dann Meister geworden wäre, wenn Watzke die Stelle von Michael Zorc für überflüssig gehalten hätte? Was würde der Bayer-Konzern sagen, wenn Wolfgang Holzhäuser auf Rudi Völler verzichten und dessen Job miterledigen wollte? Warum lässt sogar Karl Heinz Rummenigge einen Nachfolger von Uli Hoeneß bestellen, anstatt dessen Job mit zu übernehmen? Und warum hält sich eigentlich hartnäckig die These, dass der Niedergang des HSV mit der Entlassung von Dietmar Beiersdorfer (bzw. der nicht adäquaten Nachfolgeregelung) begann? Wo stünde eigentlich Bremen ohne Allofs? Wären die Überraschungsteams aus Freiburg, Nürnberg und Hannover ebenso erfolgreich durch die Saison gekommen, wenn sie die Stellen von Dirk Dufner, Martin Bader und Jörg Schmadtke ersatzlos gestrichen hätten?

Oder, anders gefragt: Hätte Eintracht Frankfurt vielleicht mit einem der oben genannten Sportdirektoren an der Seite Bruchhagens eine insgesamt etwas weniger dürftige Transferbilanz erzielen können? Hätte ein verantwortungsbewusster Sportdirektor vielleicht frühzeitiger auf einer Chance für Cenk Tosun bestanden - oder zumindest darauf gedrängt, dass Eintracht Frankfurt bei einem etwaigen Weiterverkauf des Spielers durch Gaziantepspor an der Ablöse beteiligt wird (immerhin gibt es hartnäckige Gerüchte, dass Tosun im kommenden Sommer für mehrere Millionen Euro Ablöse an einen der Istanbuler Großvereine verkauft wird…)?

Natürlich gibt es keine klar belegbaren Antworten auf diese Fragen. "Was wäre gewesen, wenn…" - das ist nun mal eine stets hypothetische Fragestellung.

Aber nach dieser Katastrophen-Rückrunde mit ihren fatalen Konsequenzen - die uns vermutlich um sieben Jahre auf den Stand von 2004 zurückwirft - kann und darf es keine Denkverbote, keine unantastbaren heiligen Kühe mehr geben. Und erst recht kein simples "weiter so!"

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