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Nachträgliche Überlegungen zum Fall von Martin Hinteregger – auch aus aktuellem Anlass

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(ext) Martin Hinteregger war für uns Fans ein absoluter Glücksfall. Sportlich, weil er ein Verteidiger von internationaler Klasse war. Seine Art zu spielen, wurde von sehr vielen Fans geliebt, denn man sah Hinti an, wie er kämpft und rackert. Den meisten Fans gefällt dieser Stil, nicht umsonst ruft die Kurve regelmäßig „Kämpfen und siegen“, wenn’s drauf ankommt und nicht „Spielen und Siegen!“, was ich ehrlich gesagt ein wenig schade finde. Daichi Kamada beispielsweise verfügt fußballerisch ganz sicher auch über internationale Klasse, aber er war und ist deutlich umstrittener als Hinti. Dies liegt wohl auch an seiner Spielweise, feingliedrig, elegant und mit hohem Risiko, der man, anders als bei Hinti, die Anstrengung nicht wirklich ansieht.

Viel wichtiger für seine Popularität bei uns Fans war aber Hintis Persönlichkeit. Er war nahbar, schlug hin und wieder über die Stränge, antwortete den Medien nicht in stromlinienförmigen Phrasen und hing in Fankneipen ab. Er schien ein Mensch wie du und ich zu sein, mit Stärken und Schwächen, zu denen er auch offen stand und dem das wahnsinnig leistungsorientierte Fußballbusiness nicht wirklich schmeckte.

Es war für viele auch deswegen ein wirklicher Schock, als der österreichische Journalist Michael Bonvalot seine Recherchen zu den geschäftlichen Verbindungen von Hinti zu Heinrich Sickl, einem österreichischen Rechtsextremisten, der ebenso wie Hinti aus dem kleinen Kärntner Ort Sirnitz kommt, veröffentlichte. Hinti wollte als Dank an seine Fans ein Fußballturnier inklusive größerem Rahmenprogramm in seinem Heimatort durchführen. Die Frankfurter Szenegröße Vega sollte auftreten, aber auch DJ Ötzi und sogar ein von Hinti gecharterter Flieger sollte Fans der Eintracht dorthin bringen. Eine Ausstellung im nahegelegenen Schloss Albeck, welches der Familie Sickl gehört, war auch noch geplant. Im Prinzip eine großartige Sache! (Okay, DJ Ötzi hätte ich nicht unbedingt gebraucht – Zwinkersmiley), Wenn nur nicht die geschäftlichen Verbindungen zu Heinrich Sickl, einem Politiker der FPÖ, gewesen wären.

Mir ist in diesem Kontext wichtig, einige Dinge festzuhalten:

Erstens, und am wichtigsten: Man macht mit Rechtsextremisten keine Geschäfte, man ist nicht mit ihnen befreundet, und man ist nicht freundlich zu ihnen, selbst wenn sie aus dem gleichen kleinen Ort kommen! Mit Rechtsextremisten macht man nur eins: man bekämpft sie! Es gibt keinen Zweifel daran, dass Heinrich Sickl dem extrem rechten Lager zuzurechnen und gefährlich ist. Sickl unterstützte die Identitäre Bewegung, die in Österreich und in Deutschland von beiden Verfassungsschutzämtern beobachtet wird und in Deutschland als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft wird. Aufgrund dieser Verbindungen verlor Sickl sogar sein Mandat als FPÖ- Stadtrat in Graz.

Sickl ist auch international vernetzt, organisierte zum Beispiel Veranstaltungen mit dem sogenannten „Institut für Staatspolitik“ aus Schnellroda in Thüringen von Götz Kubitschek, das ebenfalls als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird und vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Die Ziele all dieser Organisationen und Personen sind gegen die verfassungsmäßige Ordnung dieses Landes, gegen die Demokratie, gegen die Gleichberechtigung, gegen die unteilbaren Menschenrechte und vieles mehr gerichtet. Das Gefährliche an Typen wie Sickl und Kubitschek ist, dass sie Diskursräume für menschenverachtende Ideologien öffnen und zur Vernetzung von Menschen und Organisationen, die ebenfalls in diese Richtung argumentieren, beitragen. Sie wird man wohl eher nicht in der ersten Reihe bei Nazi-Demonstrationen finden oder direkt vor Flüchtlingsunterkünften.

Bei Sickl kommt für unseren Fußballkontext ein weiterer interessanter Aspekt hinzu, der in den aufgeregten Debatten um Hintis Geschäftsbeziehungen bedauerlicherweise nur geringe Aufmerksamkeit erfuhr.  Im Rechtsaußen-Magazin „Freilich“, dessen Herausgabe Sickl mit unterstützt, erschien vor nicht allzu langer Zeit ein quasi programmatischer Artikel, verfasst von einem deutschen Identitären, der offen beklagt, wie sehr die nationalen Kräfte in den meisten deutschen Fankurven mittlerweile in die Defensive gedrängt worden seine. Der Artikel ruft offen zu einer Wiederaufnahme des „Kampfes um die Kurven“ von rechtsaußen auf. Es steht uns allen also sehr gut zu Gesicht, kontinuierlich weiter aufmerksam zu bleiben.

Hierzu gehört auch, Verharmlosungsstrategien von Rechts nicht auf den Leim zu gehen. In einem Interview hat Hinti unter anderem gesagt, dass die AfD in Deutschland angeblich zehnmal so schlimm sei wie die FPÖ in Österreich. An dieser Behauptung stimmt rein gar nichts. AfD und FPÖ unterscheiden sich politisch höchstens in Nuancen, der größte Unterschied ist, die AfD will da hin, wo die FPÖ in Österreich schon seit längerem angekommen ist, als eine ganz „normale“ Partei im Parteienspektrum wahrgenommen zu werden, deren menschenfeindlichen Positionen so weit in die Mitte vorgedrungen sind, dass sie als diskussionswürdig angesehen werden.

Mit einem Blick auf aktuelle Vorkommnisse in unserer eigenen Fanszene scheint mir, dass hier möglicherweise einiges am Rutschen ist. Wie manche auf die Hitlergrüße in Marseille reagiert haben – „war bestimmt nicht so gemeint und der emotionalen Situation geschuldet“ – oder jetzt auf den mindestens dubiosen Adler auf der Fahne bei den Spielen in Stuttgart und Bochum, ist oftmals ganz nah an einer Verharmlosung. Die interessante Frage ist nämlich, wieso man überhaupt auf solche Symbole kommt und solche Gesten macht. Wie ganz oben beachrieben, bei diesem Thema braucht es Klarheit und eindeutige Positionierungen. Genau aus diesem Grund gilt es für alle, denen an dieser Klarheit liegt, von der Spitze des Vereins über die Ultras bis zu jedem einzelnen Fanclub, eindeutig Position zu beziehen: Keine Toleranz nach Rechtsaußen, Nazis und Nazisymbole haben in der Kurve nichts verloren! Der Verein und die Fanszene haben die Verpflichtung, gegen Nazis, Rassisten und Antisemiten klar und deutlich Stellung zu beziehen.

Zum Abschluss noch ein kurzer Gedanke:

Der Autor, der alles aufgedeckt hat, Michael Bonvalot, hat journalistisch sauber gearbeitet. Ich erwähne das deswegen, weil Bonvalot auch von einigen Leuten aus unserer Fanszene kritisiert wurde. Bonvalot hat an keiner Stelle behauptet, dass Hinti ein Nazi oder Rechtsextremist ist, er hat allen Beteiligten ausreichend Zeit gegeben, Stellung zu den erhobenen Vorwürfen zu beziehen und er hat sich in seiner Berichterstattung an den vorhandenen und überprüfbaren Fakten orientiert. Das war journalistisch einwandfreie investigative Arbeit. Wir können dankbar sein, dass es investigative Journalisten wie ihn gibt, die sich diesen so wichtigen Themen zuwenden. Im Zuge der ganzen Demonstrationen von Corona-Leugnern über Impfgegnern bis hin zu den Putin-Unterstützern – im Übrigen alles Themen, die von AfD und FPÖ gepusht werden – ist die Zahl der Übergriffe aus diesem Milieu auf Journalistinnen und Journalisten kontinuierlich am Steigen. Es steht uns allen deswegen gut zu Gesicht, diese nicht nur zu unterstützen, sondern auch zu schützen. Eine freie, kritische und unabhängige Presse ist ein unverzichtbarer Pfeiler der Demokratie.

Hinti wünsche ich persönlich nur das Beste! Hoffentlich war der Ausstieg aus der Knochenmühle Profifußball richtig und er kann sich ein Leben aufbauen, dass er sich wünscht.

Michael Gabriel, Dreieich

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