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Konzeptuelle Ausarbeitung - Stadionverbot auf Bewährung (von Ultras Frankfurt) |
Dieses Konzept stammt aus dem Jahr 2005 und wird aus gegebenem Anlaß hier noch einmal veröffentlicht.
1.) Hintergrund
Der Ausarbeitung liegt das in letzter Zeit stark vermehrte Aussprechen von Stadionverboten an Anhänger von Eintracht Frankfurt zugrunde. So wurde die Frankfurter Szene in den letzten Jahren immer wieder und in vermehrter Form mit teilweise fragwürdigen Stadionverboten belegt. Als aktuellstes Beispiel wurde man nach den bekannten Geschehnissen in Ahlen, beruhend auf einem umstrittenen, taktisch völlig mangelhaften und nicht das Prinzip der Deeskalation verinnerlichenden Polizeieinsatz, mit über 20 Stadionverboten konfrontiert. Diese Verbote betrafen Fans quer durch alle Kategorien. Die Reihen der aktiven Fans lichten sich mehr und mehr und auch Ultras Frankfurt beklagen einige von Stadionverbot betroffene Mitglieder. Etliche der Stadionverbote sehen wir als ungerechtfertigt, willkürlich und anmaßend an. Aufgrund der Sicherheitshysterie im Hinblick auf die Fußball-WM im eigenen Land führt nahezu jede Festnahme und teilweise auch schon präventive Personalienaufnahmen zu Stadionverbot.
Da es für aktive Fans jedoch kaum etwas Schlimmeres als ein Stadionverbot gibt und eben diese unseres Erachtens nach viel zu schnell und willkürlich ausgesprochen werden, erarbeiteten Ultras Frankfurt ein Konzept für ein „Stadionverbot auf Bewährung“, dessen Umsetzung wünschenswert wäre und parallel zu einer Anpassung der Stadionverbotsrichtlinien geschehen könnte.
Wir appellieren damit an die soziale Verantwortung des Vereins. Wir möchten im Folgenden also vorstellen, wie durch (Re-)Integration anstelle von Aussperrung zum einen die Fankultur am Leben erhalten werden kann und zum anderen auch der Verein einen Nutzen davon ziehen kann. Das Beispiel des bundesweit betrauerten Selbstmords des 23 Jahre jungen Bielefeld-Fans Brian hat aufgezeigt, dass Aussperrung manchmal das falsche Mittel ist. Wir wollen im weiteren Verlauf aufzeigen, warum Prävention und Reintegration gerade bei jugendlichen Fans von enormer Bedeutung sind und gegenüber repressiven Maßnahmen an Bedeutung gewinnen sollten. Das Modell ist an ähnliche, schon vorhandene Konzepte anderer Vereine angelehnt. Unserer Ansicht nach ist unser Konzept auch mit den Forschungsbefunden renommierter Sportsoziologen (Pilz, Schwier et al.) vereinbar und somit auf der Höhe der Zeit.
2.) Ziele
Ziel des Konzeptes ist die Reintegration (auf verschiedene Arten und Weisen) von einem Teil der mit Stadionverbot betroffenen Personen, und zwar in folgender Abstufung.
Fans, die
unschuldig bestraft wurden (evtl. mit eingestelltem Verfahren)
wegen Nichtigkeiten oder Bagatelldelikten bestraft wurden (evtl. mit wegen Geringfügigkeit eingestelltem Verfahren)
nachweisbar einen Delikt im Stadionumfeld begangen haben, aber bei denen die Perspektive besteht, dass erneute Stadionbesuche zu keinem weiteren auffälligen Verhalten führen würden (Dies betrifft vor allem jugendliche Fans mit dem vorhandenen, einsichtigen Willen zur Besserung und besonders ausgeprägter Beziehung zum Verein)
3.) Konzeptvorstellung
3.1) Heimspielbesuchsrecht
Unsere Idee knüpft an das Hausrecht der Eintracht Frankfurt Fußball AG an und sieht bei den Personen, die von anderen Vereinen Stadionverbot ausgesprochen bekamen – abgestuft nach Schwere und Hintergrund der Tat sowie sozialer Perspektive des Beschuldigten – die Möglichkeit vor, Heimspiele der Frankfurter Eintracht zu besuchen.
Im neulich von den Fanbeauftragten veröffentlichten „Fan-News #1“ kam zur Geltung, dass von den 65 von der Eintracht ausgesprochenen Stadionverboten nur acht auf Anhänger der Frankfurter Eintracht fallen. Diese erfreuliche Minimal-Quote zeugt von der Tatsache, dass bei Heimspielen der Eintracht nahezu kein Gefahrpotential von den eigenen Fans ausgeht und dass eher die Drangsalierung und der repressive Umgang mit Auswärtsfahrern ein bundesweites Problem darstellt. Die für dieses Konzept wichtigen und bedeutsamen Stadionverbote sind also die von anderen Vereinen ausgesprochenen Stadionverbote. Wir wissen, dass die Eintracht Frankfurt Fußball AG keinerlei Einfluss auf die Stadionverbots-Vergabepraxis anderer Vereine hat; wir erstreben somit nur eine Aufhebung des Stadionverbots bei Heimspielen. Die Quote von nur acht auffälligen und mit Stadionverbot belegten Eintrachtfans zeigt uns, dass die Fans der Eintracht im überwältigendem Tenor absolut friedfertig und unproblematisch sind und gerade bei Heimspielen kaum Gefahrpotential seitens der Fanszene ausgeht. Ultras Frankfurt unterstützen dies damit, dass wir die Kurve pyrofrei halten und ein kreatives Ausleben in Form von Choreographien etc. anstelle von Pyrotechnik propagieren. Eine allgemein unterschätzte soziale Arbeit, die wir da für unseren Verein übernehmen!
Das von uns erhoffte „Heimspielbesuchsrecht“ für Stadionverbots-Betroffene könnte unserer Meinung nach in folgender Abstufung erfolgen:
3.1.1.) Heimspielbesuchsrecht für nachweislich unschuldig bestrafte Fans
Fans, die im Punkt 2.) unter (a) kategorisiert wurden (unschuldig bestraft) sollten nach Prüfung der Vorkommnisse durch die Fanbeauftragten ohne weitere Auflagen Heimspiele besuchen dürfen.
3.1.2.) Heimspielbesuchsrecht unter Auflagen bzw. sozialer Arbeit
Fans, die im Punkt 2.) unter (b) und auch (c) kategorisiert wurden sollten zu einem Gespräch mit den Fanbeauftragten oder anderen geeigneten Ansprechpartnern geladen werden, in dem der zum Stadionverbot führende Vorfall noch einmal besprochen wird, und der Beschuldigte sich rechtfertigen darf. Kann man von den Aussagen und den Einstellungen des Beschuldigten offenkundig auf ein Gefahrpotential schließen, ist das „Heimspielbesuchsrecht“ zu verweigern. Zeigt der Betroffene Reue und Verständnis und Streben nach Besserung lässt dies die Perspektive zu, dass von der Person keine Gefahr bei Heimspielen ausgeht, und das „Heimspielbesuchsrecht“ sollte erteilt werden. Das Aufgabenspektrum der Fanbetreuung wäre nun etwas ausgeweiteter, sollten diese die Gesprächspartner für die Beschuldigten darstellen. (psychologische Aufgabenkomponente)
Ergänzend plädieren wir für die Einführung von Sozialstunden für Eintracht Frankfurt. Dies kann natürlich nur auf freiwilliger Basis geschehen. Durch diese Freiwilligkeit könnte man nun als Betroffener seinen Willen zur Besserung abermals untermauern und gleichzeitig seinen Verein tatkräftig unterstützen und damit die Verbundenheit zum Verein demonstrieren. Ein Großteil gerade der jugendlichen, von Verboten betroffenen Fans wäre umgehend bereit, für ein „Heimspielbesuchsrecht“ und als moralische Aufarbeitung der Fehlverhalten, die zum Stadionverbot führten, derartige Sozialarbeit für den Verein zu leisten. Dies haben unsere Gespräche an der Fanbasis deutlich gezeigt.
Der Umfang der Sozialarbeit sollte in Arbeitsstunden gemessen werden und abhängig von dem Hintergrund und der Schwere der Tat sowie der sozialen Perspektive des Beschuldigten sein.
Möglichkeiten der sozialen Arbeit:
Sozialstunden am Vereinsgelände am Riederwald (Sanierung, kontrollierte und geplante Verzierung durch Eintracht-Graffities)
Sozialstunden im Fanprojekt (Büroarbeit) oder an der „Baustelle“ Louisa
Sozialstunden in Form eines freiwilligen Praktikums bei der Eintracht-Geschäftsstelle (Kartenservice, Hausmeisterei etc.)
Soziale Arbeit bei Amateurspielen der Eintracht (Balljunge, Aushilfe beim Karten- und Essensverkauf)
Weiteren Ideen, Abänderungsvorschlägen oder Einwänden der Eintracht Frankfurt Fußball AG stehen wir mit einem offenen Ohr gegenüber. Grundlegend möchten wir aber an dem „Bewährungssystem“ festhalten. An einigen Beispielen zeigt sich, dass sich das Aussprechen von Stadionverboten negativ auf die soziale Entwicklung von vornehmlich jugendlichen Fans auswirkt. Der Mangel an Arbeitsstellen und Ausbildungsmöglichkeiten und die generelle soziale Situation in der Bundesrepublik, inklusive dem Zerfall der Familie und der Werte, führen dazu, dass Jugendliche ihre ganze Freizeit und Aufopferung in den Verein investieren und durch die Beziehung zum Verein Hoffnungen schöpfen. Nur muss diese Beziehung auch eine wechselseitige sein. Reines Aussperren ist keine langfristig orientierte und tragfähige Lösung. Gerade jugendliche Fans benötigen die Gelegenheit des Stadionsbesuchs, der ja gewissermaßen auch in ritualisierter Form zu einem Triebabbau führt durch gemeinschaftliches Singen, Gröhlen und Springen. Bekommen sie dies genommen, entsteht hier gefährliches Potential, wenn die vornehmlich jungen Fans vor die Tür gesetzt werden und in den Städten rumlungern. Erziehung bedeutet das Verdeutlichen von Fehlern aber auch das Gewährleisten einer „zweiten Chance“. Die Justiz arbeitet seit jeher mit dem Prinzip der Bewährung, ein Prinzip, das nicht mehr wegzudenken und nahezu selbstverständlich ist. Unser Anliegen ist es nun, dass diese vernünftigen Prinzipien auch in die Fankultur und in den Fußball Einzug erhalten, um auf soziale und demokratische Art und Weise Vorbild zu sein. Der Fussball hat so einen enormen Stellenwert in unserer Gesellschaft, dass er sich in Sachen Fanarbeit solche altbackenen, unfairen Richtlinien nicht mehr leisten kann.
4.) Fazit und Schlusswort
Wir erhoffen uns durch das Vorlegen unseres Konzeptes eines Stadionverbots auf Bewährung, dass sich die Eintracht Frankfurt Fussball AG auch mit besagter Ausarbeitung auseinandersetzt und erwarten eine Form des Feedbacks bzw. wie man zu der Idee des „Heimspielbesuchsrechts“ steht und inwiefern man an einer Umsetzung, wenn vielleicht auch nur in Teilbereichen, ernsthaft interessiert ist.
Sollte man unser Konzept als realitätsfremd oder nicht umsetzbar deklarieren, hielten wir alternative Lösungsansätze für angebracht.
Wir als Ultras Frankfurt wünschen uns, dass die Eintracht Frankfurt Fussball AG ihren sportlichen wie auch wirtschaftlichen Höhenflug auch auf den Bereich der Fanarbeit überträgt und willens ist, emanzipatorisch und innovative Wege zu gehen, um die Fankultur in Frankfurt nicht zu gefährden. Dazu zählt unabdingbar die Reintegration der von (ungerechtfertigen) Stadionverboten betroffenen aktiven Fans.
Die Fans haben durch ihren unbändigen und lautstarken Support einen großen Anteil am Aufstieg und am Ruf des Vereins. Die Eintracht braucht ihre Fans, und zwar im Stadion.
Sollte es zu keinerlei Feedback seitens der Eintracht Frankfurt Fußball AG kommen und sollte unser Anliegen respektive Konzept völlig ignoriert werden, behalten wir uns weitere Maßnahmen vor, hierzu zählt bspw. ein Boykott der Stimmung in der kommenden Saison.
Wie verweigern uns dagegen, reine Stimmungsprotagonisten zu sein, die aber bei ernsthaften Problemen unerhört bleiben und verleugnet werden.
Mit der Hoffnung, Gehör zu finden und auf eine gemeinschaftliche, vertrauliche Basis zurück zu finden.
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