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Interview mit Roland Gerlach, Dauerbesucher der Eintracht-U23: Man stelle sich vor, die eigene Mannschaft wird plötzlich aufgelöst – wie geht man als treuester Fan damit um?

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(jh) Wenn sonst, wenn nicht Roland Gerlach, muss man fragen, wenn es um die Sicht des Anhängers rund um die Auflösung der U23 der Eintracht geht – er folgte den Amateuren quasi überall hin. Doch damit ist jetzt unfreiwillig Schluss. Für Roland Gerlach geht das Thema rund um die Abschaffung der U23 „an die Nieren“ – kein Wunder dass er dann bei der Beantwortung einer Frage richtig loslegte und kaum zu stoppen war.
 

Es dürfte wohl kaum einen Fan geben, der so viele Spiele der Eintracht-Amateure – zuletzt U23 genannt – gesehen hat wie Du, oder?

Das ist schon möglich, zumindest gibt es niemanden von dem ich es mit Sicherheit weiß.


Wenn Du überschlägst, wie viele Spiele daheim und auswärts waren es in welchem Zeitraum?

Es waren seit 1972 bis zum letzten Spiel in Koblenz etwas mehr als 900 Spiele (inklusive Freundschaftsspiele und Halle). Die Anzahl der Heimspiele schätze ich auf 60 % – ich könnte dies anhand der Eintrittskarten genau rekonstruieren, was jedoch ziemlich zeitaufwendig wäre.


Was bedeutet das Aus für die U23 für Dich, wenn Du diese Spiele nun nicht mehr sehen kannst?

Da ich in Seckbach geboren wurde und aufwuchs, habe ich seit meiner Jugend eine sehr enge und persönliche Beziehung zu den Amateuren. Deren Stellenwert war kaum geringer als der der Profis. Mit Abstiegen umzugehen hat man ja inzwischen gelernt, doch handelt es sich hier um eine endgültige irreversible Maßnahme. Es ist sehr schwer, meine Empfindungen hierbei ohne Larmoyanz in Worte zu kleiden.

Gibt es Fans, die nur zu den Amateuren gegangen sind?

Das schließe ich aus. Für eine kleine Anzahl Fans waren einige Spiele der Amateure vorübergehend interessanter als gleichzeitig stattfindende der Profis, und so wurden die Prioritäten entsprechend gesetzt. Eine Ausnahme bildete wohl zwangsweise die „Gruppe Stadionverbot“, deren Interesse an der U23 sehr bald nachließ, als man wieder zu den Profis gehen durfte.


Was bedeutet das Aus für den Eintracht-Amateure-Fanclub, in dem Du sicher auch Mitglied bist?

Der Eintracht-Amateure Fan-Club „Die Treuen“ hat bereits vor ca. 14 bis 15 Jahren seine Aktivitäten eingestellt. Die früheren Mitglieder gehen heute kaum noch zur Eintracht und halten auch nur noch sporadisch über Facebook untereinander Kontakt. Entsprechend unemotional wurden die aktuellen Geschehnisse von den ehemaligen Kollegen auch zur Kenntnis  genommen.


Kannst Du die Entscheidung der Gremien der Eintracht nachvollziehen oder siehst Du es kritisch?

Gewiss gab in erster Linie die angespannte finanzielle Situation des e.V. den Ausschlag. Vermutlich wurde damit auch eine kurzfristige Etatkürzung von ca. 600.000 bis 700.000 Euro erzielt. Ich befürchte jedoch, dass der sportliche Aspekt hierbei nicht ausreichend gewürdigt wurde. Das Argument, dass die U23 zu wenig „durchlässig" sei hinsichtlich der Spieler, die für Profieinsätze in Frage kamen, erscheint bei oberflächiger Betrachtung aufgrund der Anzahl der neuzeitlichen Nominierungen zunächst plausibel.

Andererseits fallen mir im Moment nur die Spieler Falkenmayer und Möller ein, die den Sprung von der U19 direkt in den Profikader schafften, ohne Spielpraxis in der jeweiligen zweiten Mannschaft zu sammeln.  In den „goldenen 70er und 80er Jahren“,  in der unsere Jugend deutsche, wenn nicht gar europäische Spitze war und Titel gewann, gingen aus vergleichsweise biederen Hessenliga-Teams Spieler wie Borchers, Helmut Müller, Nachtweih, Trapp, Schaub, Pahl, Blättel, Künast, Peukert, Gruber, Anthes, Raps, Berthold, Uwe Müller, Krämer, Kraaz, Binz, Gundelach, Conrad, Caspary, April, Klepper, Ernst, Bindewald, Lasser, Klein, Dickhaut, Wolf etc. hervor, die entweder bei uns oder Dritten im Profibereich landeten. In der Saison 95/96 hatten wir mit Matthias Hagner gar einen Spieler, der über Monate sowohl bei den Amateuren als auch bei den Profis interner Torschützenkönig war, während nahezu zeitgleich Okocha, Komljenovic, Hagner, Dworschak, Nikolov, Bunzenthal etc. ihre Befähigung zu höheren Aufgaben unterstrichen.

In der Saison 2008/09 spielte der Aufsteiger Eintracht U23 eine sensationelle Regionalligasaison mit einer nie zuvor gesehenen Spielkultur, mit der sie an guten Tagen gewiss einige Zweitligateams vor Probleme gestellt hätte. Der dritte Rang war der verdiente Lohn hierfür. Aus dieser sensationellen Truppe wurde einzig Juvhel Tsoumou mit sechs Profi-Einsätzen belohnt. Die Profis unterdessen entgingen auf Rang 13 mit nur drei Punkten Vorsprung knapp dem Abstieg. Angelo Vaccaro von der U23 erzielte in der Rückrunde 9 Tore in 14 Spielen und wurde nie in den BL-Kader berufen.

Eine Analogie hierzu die Saison 2010/11. Unsere Profis waren in der Rückrunde von allen guten Geistern verlassen; dies gipfelte nicht nur im Abstieg, sondern zeichnete sich bereits in den ersten acht Rückrundenspielen ab, in denen kein einziger Treffer erzielt wurde. Die U23 hatte mit Elia Soriano einen echten Goalgetter, der es in zwölf Spielen in der Rückrunde immerhin auf acht Tore brachte. Soriano  wurde kein einziges Mal zu einem Spiel der Profis nominiert. Aus dem Kader des Regionalligateams kam einzig Kevin Krauss mal zu Ehren in der Bundesliga.

Dies alles muss m.e. in dem Gesamt-Konsens gesehen werden, dass in den letzten Jahren mit Ausnahme Christoph Daum faktisch keiner unserer Profitrainer mal am Hang bei einem Spiel der U23 gesehen wurde – geschweige denn regelmäßig –, um sich vielleicht mal ein Bild von der Leistungsstärke des Teams zu machen. Wenn sich nun die Herren Kraaz und Schur mit vor der Brust verschränkten Armen hinstellen und behaupten, dass die „Durchlässigkeit“ zu wünschen übrig lasse, so hege ich wie gesagt meine persönlichen Zweifel daran..... gerade Kraaz und Schur, deren Weg in die Bundesliga  paradoxerweise ebenfalls über unser Amateurteam führte. Last but not least sei noch an unser „unverkäufliches Tafelsilber“ Sebi Jung erinnert.

Gerechtfertigt wurde die U23-Abmeldung auch mit dem Hinweis darauf, dass U17- und U19-Spieler heutzutage bereits weitestgehend wie Profis trainieren und mit 19 quasi schon bundesligatauglich sein sollen. Das mag auch bei Ausnahmespielern wie Draxler oder Sahin der Fall sein, doch vermisse ich nicht nur bei uns den nachhaltigen Beweis dieser These. All unsere Youngster mit Profiverträgen (Hien, Wille, Oezer, Kittel, Stendera, Kempf) sammelten bisher Spielpraxis bei der U23, und sei es nur um als rekonvaleszent wieder Anschluss zu finden. Von dieser Möglichkeit machten auch in den vergangenen Jahren zig (Reserve-)Profis Gebrauch (Beierle, Husterer, Ochs, Lexa, Korkmaz, Jones etc.) oder auch um nur Spielpraxis unter Wettbewerbsbedingungen zu erhalten. Stattdessen will man nun Freundschaftsspiele gegen höherklassige Teams abschließen (bei denen schon mal nicht die Wettbewerbssituation zu improvisieren ist) oder das kurzfristige „Verleihen“ von Perspektivspielern forcieren, ein Terrain, auf dem man bisher null Erfahrungen gesammelt hat und daher Skepsis allemal geboten erscheint. Unter diesen Umständen könne man auch Spielern wie Kirchhoff, Marin und Can, die ja auch mal unsere Farben trugen, zukünftig Anreize schaffen, bei unserem Verein zu bleiben. Kaum wurde es ausgesprochen, da schnappte sich RB Leipzig den frisch gebackenen U15-Südmeister Renat Dadachev, wobei ich natürlich diese Vorgehensweise in keinster Weise billige und auch nicht von unserem Leistungszentrum erwarte, bereits in dieser Altersklasse finanzielle Anreize zu schaffen, aber das ist nun mal der Trend der Zeit. Sad but true...

Aber die Frage muss erlaubt sein, welcher Art dann der Anreiz ist, den unser mit was weiß ich wie viel Sternchen zertifiziertes Leistungszentrum unseren hoffnungsvollen Nachwuchstalenten nunmehr bieten will, wenn nach Vollendung des 19. Lebensjahres in aller Regel die Karriere bei Eintracht Frankfurt zumindest vorrübergehend (Stichwort Verleihgeschäft) beendet ist, berücksichtigt man das gelinde gesagt miserable sportliche Abschneiden unserer U19 seit Gründung der Junioren-Bundes- bzw. -Regionalliga. Stieg man 2005/06 sang und klanglos ab, um ein Jahr über die Wiesen der Hessenliga zu tingeltangeln, so entging man 2012/13 nur knapp dem gleichen Schicksal, als man acht der letzten neun Spiele verlor und sich nur durch ein 6:6 (nach 5:1-Führung) bei Mitkonkurrent FSV rettete. In einer inoffiziellen „Ewigen Tabelle“ der U19-Bundesliga, die die regionalen Gruppen übergreift, liegt die Eintracht zur Zeit auf Rang 22; sie scheidet auch in schöner Regelmäßigkeit in den ersten Runden des bundesweiten Pokalwettbewerbs aus. Der letzte Meisterschaftstitelgewinn liegt fast drei Jahrzehnte zurück. Wie soll also heute ein ambitionierter, hoffnungsvoller 15 bis 17-Jähriger seinen nächsten Karriere-Schritt planen, wenn er von alldem Kenntnis hat? 


Bei den Amateuren war die stetige Erneuerung des Kaders eher stärker als bei den ersten Mannschaften, weil Spieler, die keinen Durchbruch zu den Profis geschafft haben, nach drei, vier Jahren spätestens wieder gehen mussten – sieht man von Ausnahmen ab, die vielleicht der Stabilisierung des Amateure-Kaders gedient haben. Ist da eine Bindung zu den Spielern eher distanzierter als beispielsweise in der Bundesliga?

Abschied vom U23-Team nach dem

letzten Pflichtspiel in Koblenz. Weitere

Fotos siehe Seite 2.

Foto: Sabine C. Klug

 
Die Fluktuation ist selbstverständlich ungleich größer, und so liegt es in der Natur der Sache, dass sich zumeist sehr junge Spieler nach ein bis zwei Jahren kein Standing erarbeiten konnten, um nachhaltig in Erinnerung zu verbleiben. An sehr viele Spieler kann ich mich auch bei Nennung des Namens gar nicht mehr erinnern. Sie sind ja seit 1972 gut und gerne im vierstelligen Bereich. 


Welche bemerkenswerten Erinnerungen hast Du an Deine Besuche bei den Amateuren? Was ist an lustigen, traurigen und tollen Dingen bei den Spielen und Dir persönlich bei den An- und Abfahrten passiert? Du kannst gerne groß ausholen.

Oh, da gibt es gewiss einiges zu berichten, und es ist nicht ganz leicht, die Highlights aus dem Stehgreif widerzugeben, es kommt auch auf die jeweilige Sichtweise der Ereignisse an. An allererster Stelle (noch vor den sportlichen Erfolgen Regionalliga-Aufstieg 1995, 2002 und 2008) fallen mir die unzähligen Leute ein, die ich bei den Spielen kennen lernen durfte und die teilweise schon jahrelang zu meinen besten Freunden zählen, mit denen man unter der Woche häufig telefonierte und gemeinsam auf die Spiele fuhr. Dieses Kennenlernen war bei den Profis schwieriger, schon wegen dem Lärmpegel, unter dem die Spiele i.d.R. stattfinden und jede Kommunikation im Keim ersticken. Wenn man jemand bei den Amateuren häufig sah, so wusste man auch sofort, dass er aus ähnlichem Holz geschnitzt ist und das schlug natürlich Brücken. Alleine daran kann man ermessen, welch tiefgreifender Einschnitt in mein Leben die U23-Abmeldung zur Folge hat, vom Verlust der Spiele mal abgesehen.

Man hatte auch als regelmäßiger Auswärtsfahrer oft die Möglichkeit, Gratis-Karten am Mannschaftsbus zu erhalten, die für Begleitpersonen (Spieler-Frauen etc.) vorgesehen waren. Häufig hatte man so Zugang zum VIP-Bereich, Catering und Pressekonferenz nach dem Spiel. Beeindruckend auch in jedem Falle Auswärtsspiele in gähnend leeren WM-Stadien (Nürnberg, Kaiserslautern) vor kaum 200 ZS. Das für mich lustigste Erlebnis war die Spielunterbrechung bei Rot-Weiss Frankfurt 1986/87, als 22 Spieler plus Schieds- und Linienrichter Jagd auf einen Hasen machten, dem es zur Erheiterung der Zuschauer nicht einfiel, den Rasen zu verlassen. Letztendlich wurde er systematisch eingekesselt und der Mann in Schwarz trug ihn an den Ohren vom Platz. Dass das Spiel 0:7 verloren ging, war halt fader Beigeschmack des Nachmittags. Ärgerlich waren gewiss Anfahrten zu Spielen, die abgesagt wurden (Willingen 1992) oder der Abbruch wegen eines Büchsenwurfes eines SGE-Fans (Sandhausen 1995), mit dem ein Linienrichter verletzt wurde. Beides erforderte halt eine erneute Anfahrt. Die Abstiege 1996 und 2003 waren zwar vorhersehbar, aber dennoch niederschmetternd, aber in keinster Weise mit der vollständigen Abmeldung vom Spielbetrieb zu vergleichen, zumal diese irreversibel ist.


Gehst Du nun zukünftig ersatzweise noch mehr zu anderen Veranstaltungen der
anderen Abteilungen der Eintracht?

 Gut möglich, dass ich jetzt das eine oder andere Jugendspiel mehr sehe, welches sich mit der U23 überlappt hätte, jedoch fahre ich gewiss nicht zu einem Auswärtsspiel Sonntags 11 Uhr in Unterhaching. Die Anzahl der Spielbesuche von Hallensportarten wird sich kaum ändern, da hier die Anpfiffzeiten meist in den Abendstunden liegen.


Vielen Dank für das Interview!

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