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Interview mit Philipp Reschke: Über Fehlverhalten, das keine Randale ist, Härte und Druck |
Über Fehlverhalten, das keine Randale ist, Härte und Druck
Interview mit AG-Vorstand Philipp Reschke
von Jörg Heinisch
aus Fan geht vor Nr. 312 (August 2025)
(jh) Seit dem Jahr 2001 ist Philipp Reschke bei der Eintracht der Mann für Rechtsfragen. Und längst auch für die Frage des Umgangs mit jenen, die der Eintracht und ihren Fans aus der Kurve heraus einige Probleme bereiten. Längst verantwortet er diese Themen im Vorstand der Eintracht Frankfurt Fußball AG.
Philipp, vielen Dank, dass Du uns für ein kurzes Interview zur Verfügung stehst!
Ist Dir die Homepage www.fussballmafia.de ein Begriff? Hier ist auch eine Tabelle mit den aufsummierten Strafen des DFB einzusehen, verbunden mit der Frage, wer Randalemeister wird. Auf dem letzten Platz – Platz 53 – steht der SV Elversberg mit 3.600 EUR Strafe für die vergangene Saison. Auf Platz 1 die Eintracht mit 709.600 EUR. Vor dem 1. FC Köln mit 666.345 EUR. So war zumindest der Stand bis zum 17. Juli, als der 1. FC Köln dann doch noch mit einer weiteren Strafe an der Eintracht vorbeizog und letztlich total auf 924.355 EUR kam. In der Spielzeit 2023/24 (fast) das gleiche Ergebnis: Die Eintracht mit 906.950 EUR vorne, die Kölner 725.750. EUR. Und wer war 2022/23 Randalemeister?
Der Reihe nach: Nein, ich kannte die Webseite trotz ihres charmanten Titels bisher nicht, aber die Statistik darf ich ja in meiner Neben-Funktion als Beisitzer im DFB-Sportgericht persönlich mitverfolgen.
Und ich nehme mal an – die höchste Summe an Geldstrafen dürfte auch 22/23 bei uns gelegen haben ?!
Aber lass uns mal kurz ohne Ironie ein wenig Ordnung in die „Tabellen“ reinbringen und differenzieren. Man darf ja nicht vergessen, dass in der Bundesliga der Bengalo 1.000 Euro kostet, in der 2. Liga 600 und in der 3. Liga 300 Euro. Und das Verhältnis gilt runtergebrochen auch für alle anderen Fehlverhalten – von der Rakete bis zum Flitzer. Wenn man also ehrlich den „Randale-Wert“ mit uns vergleichen möchte, muss man die Geldstrafen der Drittligisten in der Regel mal 3,3 und die der Zweitligisten mal 1,6 nehmen. Das relativiert das Bild dann doch ganz ordentlich.
Und schließlich – auch wenn unsere Szene sich den Titel „Randalemeister“ zum Abstieg 2011 mit beißendem Sarkasmus selbst verliehen hat – setzen sich diese Strafen quer durch die Ligen vor allem und überwiegend aus gewöhnlicher, also „friedlicher“, Pyrotechnik zusammen – so auch bei uns – verboten zwar, aber in der Regel selten etwas, was die Hand verlässt, und nichts, was als Waffe verwandt wurde. Ein Pyro-Intro mit 100 Fackeln bleibt verboten, kostet Unmengen, aber mit Randale hat das ehrlicher Weise nichts zu tun. Deswegen sollte man bei der Bewertung von Geldstrafen durchaus genauer hinschauen, bevor man die falschen Rückschlüsse zieht.
Die Eintracht hat also fast das „Triple geschafft“. 2022/23 waren es übrigens 861.200 EUR, Zweiter war Hannover 96. Wir unterstellen mal, es gibt in der Kurve keine Kräfte, die es auf diese „Spitzenposition“ abgesehen haben, und doch gibt es gerade im Bereich der Ultras jene Anhänger, die mit solchen hohen Strafen keine Probleme habe, obwohl sie ihrem Verein damit ja schaden. Dort herrscht die Meinung, die Strafen seien ja „eingepreist“ und bei den Summen, um die es geht, falle das sinngemäß nicht ins Gewicht. Dabei wird außen vorgelassen, dass die Eintracht für die ja leider abzusehenden Geldstrafen Drohverlustrückstellungen bilden muss, weil das Bilanzrecht dies vorschreibt. Hätte der Begriff „einpreisen“ bei Dir persönlich Chancen auf das Unwort des Jahres?
Nein, weil wir nichts „einpreisen“ oder budgetieren. Aber natürlich ist es für einen Club mit 400 Mio. Euro Jahresumsatz und regelmäßiger internationaler Teilnahme schwerer, den Pyroliebhabern der Fanszene die Last und den Schaden einer fast siebenstelligen Geldstrafe pro Jahr zu vermitteln, als für einen Zweit- oder Drittligisten, der gerade um seine wirtschaftliche Existenz kämpfen muss. Die Gelddebatte bringt uns auch nicht weiter – weder intern, noch öffentlich. Es geht vielmehr um die Frage, wofür diese Zahlen stehen – nämlich in der Regel für Unmengen an verbotener Pyrotechnik, die in solchen Dimensionen alle unter Druck setzt – die Politik, die Behörden, die Verbände und schließlich die Vereine und die Fankurven. Und die harten politischen und öffentlichen Debatten des letzten Jahres über Sicherheit in den Stadien und die Verantwortung der Clubs sind das Ergebnis dieses Drucks. Die Rückkehr zu einem deutlich vernünftigeren Maß an – nennen wir es mal – fankulturellem Regelbruch wäre daher wirklich wünschenswert und würde erheblichen Druck vom Kessel nehmen. Und das bleibt ein wesentliches Ziel meiner Arbeit.
Es gibt immer wieder Stimmen von Leuten ohne Einblick in das Agieren zwischen Klub und Anhängerschafft zu hören, die meinen, die Eintracht müssen harte Kante zeigen, Durchgreifen und dürfe gar nicht diskutieren. Dass das aber eine Eskalation bedeuten würde, die ja nur „kontraproduktiv“ sein kann und alles nur verschlimmern würde, verstehen diese Leute gar nicht. Kommunikation ist sicher auch in dieser Frage eines der höchsten Güter. Die Du ja auch pflegst. Dazu gehört aber auch, dass diese Kommunikation nicht öffentlich verfolgt werden kann, weil sie sonst nicht funktionieren würde. „Die Eintracht lässt sich auf der Nase rumtanzen!“ / „Die machen, was sie wollen!“ So etwas hast auch Du sicher schon häufig gehört. Würdest Du auch gerne mal transparent Einblicke nach außen geben wollen, um zu zeigen, welchen Erfolg Kommunikation bringt, was also auch Ergebnisse Deiner Arbeit sind? Auch wenn Du weißt, dass es natürlich nicht geht?
Sagen wir mal so: man darf sicher nicht eitel sein. Ich kann die Medien und die Öffentlichkeit und deren Gefühl des Nase-Rumtanzens auch nachvollziehen, insbesondere nach so ungewöhnlichen Vorfällen wie in Bochum, weil sie natürlich nicht wissen können, wie dieser ganze Kosmos im Innenleben miteinander funktioniert, wie kommuniziert wird, was dort an Botschaften und Meinungen ausgetauscht und durchaus auch heftig und kontrovers diskutiert wird, wie Ereignisse wie eben das Banner in Bochum nach innen aufgearbeitet werden und wie diffizil und sensibel diese Balance ist, um die sich schlussendlich alle Seiten auch immer wieder bemühen. Und wenn diese Bemühungen erfolgreich sind – und das macht uns so einzigartig – dann sind wir alle gemeinsam in der Lage, gegen jede wirtschaftliche oder sportliche Wahrscheinlichkeit Berge zu versetzen – oder wie Kollege Axel Hellmann es genannt hat „Grenzen zu verschieben“ und das mittlerweile in ziemlicher Regelmäßigkeit.
Fangen wir an, bei Problemen oder in schwierigen Momenten unsere Meinungen und Botschaften über die Öffentlichkeit zu transportieren, verraten wir diesen Weg des gemeinsamen Ausdiskutierens, die Fronten verhärten sich und wir verlieren den Draht und das Vertrauen zueinander. Deswegen reden wir miteinander und nicht übereinander – das bleibt mein und unser oberstes Gebot – auch auf die Gefahr hin, dass sich vorübergehend nach Außen ein Bild der Schwäche ergeben mag.
Was ist Deine Botschaft an jene Leute, die nicht verstehen, dass Härte kein Weg zu einem besseren Verhältnis ist?
Man nenne mir einen Traditions-Verein – und nicht wenige haben es versucht – der mit Härte gegenüber seiner Szene oder markigen Sprüchen in den Medien in den vergangenen 25 Jahren die üblichen Probleme auch nur ansatzweise nachhaltig verbessert oder gelöst hätte und dabei auch noch sportlich erfolgreich war. Das funktioniert nicht in der Familie, nicht mit Schulklassen und erst recht nicht mit großen und über Generationen gewachsenen, Fanszenen.
Pyrotechnik und geworfene Gegenstände sind die „Haupttreiber“ für die Geldstrafen. In den Urteilen des DFB ist immer zu lesen, dass ein Drittel der Summe „für sicherheitstechnische oder gewaltpräventive Maßnahmen“ verwendet werden kann. Kannst Du uns konkreter sagen, was für Maßnahmen das sind?
Das ist ganz unterschiedlich und reicht von z.B. Spenden für gewaltpräventiv tätige Einrichtungen bis hin zu Schutznetzen oder anderen infrastrukturellen Anpassungen. Aktuell ist der Verwendungskorridor noch sehr eng durch den DFB definiert, aber wir sind von Clubseite in guten Gesprächen, die Verwendung etwas flexibler auszurichten.
Bei den oben genannten Summen sind die 50.000 Euro-Strafe der UEFA auch noch nicht eingerechnet. Auf internationaler Ebene stehen wir bis Frühjahr 2027 auch noch auf Bewährung. Bei einem weiteren (Heimspiel-)Vergehen steht ein Zuschauer-Teilausschluss an. Hast Du das immer im Hinterkopf, wenn wir international spielen?
Na klar, dieses Damokles-Schwert beschäftigt uns ja auch in einer gewissen Regelmäßigkeit, gerade vor der kommenden Champions League-Saison, denn sowohl auswärts (Komplettausschluss), als auch zuhause (Unterrang NWK) sind wir auf Bewährung. Mein Blick auf die Ergebnisse der Auslosung in den int. Wettbewerben ist daher in der Regel auch ein anderer als der von Kollege Krösche… Aber unsere Erwartungshaltung ist klar kommuniziert. Hier geht es nicht nur um Geldstrafen, sondern um die Teilhabe Aller. Insofern haben nicht nur wir als Club, sondern vor allem auch die relevanten Gruppen selbst eine besondere Verantwortung gegenüber allen anderen Fans und der aktiven Fanszene, und jeder einzelne steht in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass es nicht so weit kommt. Dabei möchte ich es an der Stelle auch belassen.
Dein Arbeitsgebiet war schon immer Recht, seit 2013 auch Fanangelegenheiten, Sicherheit und Spieltagsorganisation. Und seit nunmehr schon drei Jahren verantwortest Du diese Bereiche im Vorstand der AG. Es gibt Positionen, bei denen man weniger unter Druck steht, oder?
Das passt schon. Der Sport hat mit weitestem Abstand den größten Druck – aber die Kollegen leisten einfach so gute Arbeit, dass man das mitunter fast vergisst. Wenn man von mir hört oder liest, geht’s halt nicht um Kanter-Siege mit Spitzenstimmung und Regeltreue, aber daran gewöhnt man sich, und ich werde bezahlt für das, was ich liebe – also keine Beschwerden.
Letzte Frage: Die Eintracht ist in vieler Sicht ein Klub am Limit. Dazu gehört auch nach wie vor der Drang vieler Anhänger, im Unterrang der Nordwestkurve stehen zu wollen, die von außen gesehen immer überfüllt gewesen schien, wenngleich die Ergebnisse von Zählungen dies nicht zu untermauern scheinen, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Aber wir können sicher davon sprechen, dass es in manchen Bereichen eine starke Dichte gegeben hat. Das Problem soll nun zur neuen Saison gelöst sein. Wie?
Der Unterrang der NWK ist immer schon ein Ritt auf der Rasierklinge gewesen. Wir werden ein paar Anpassungen vornehmen müssen, die wir aber – jetzt zu Deinem Redaktionsschluss – noch nicht kommunizieren können, sondern erst in der Woche ab dem 11. August.
Wer sich aber wirklich mit der Geschichte der Eintracht auseinandersetzen will, sollte sich „Schlappekicker & Himmelsstürmer” von Uli Matheja zulegen. Es kostet zwar ein paar Euro mehr, enthält aber dafür (fast) alles, was man zur Eintracht wissen kann, und nicht nach Meinung eines selbst erklärten Experten wissen „muss”. Der Hinweis „fast” ist auch nur der Tatsache geschuldet, dass es im Jahr 2020 erschienen ist, und somit einige Dinge noch nicht drinnen stehen können.
Position |
Vorstandsmitglied |
Geboren |
5. Oktober 1972 |
Familienstand |
Verheiratet, zwei Söhne |
1993 bis 2000 |
Juristische Ausbildung in Passau, Hamburg (erstes Staatsexamen), Frankfurt/Darmstadt (zweites Staatsexamen) |
Seit 2001 |
Mitarbeiter und Rechtsberater |
Seit 2013 |
Prokurist bei Eintracht Frankfurt Fußball AG |
Seit 2013 |
Leiter der Abteilung Recht, Fanangelegenheiten, Sicherheit und Spieltagsorganisation |
Bis 2022 |
Hauptansprechpartner der UEFA bei Eintracht Frankfurt |
Seit Juli 2022 |
Vorstandsmitglied Eintracht Frankfurt Fußball AG |