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Heribert Bruchhagen: "Die Autorität des Trainers ist ein Gut, das man nie angreifen darf" |
Die Autorität des Trainers ist ein Gut, das man nie angreifen darf
Interview mit Heribert Bruchhagen
Vor etwas über drei Jahren haben wir Heribert Bruchhagen erstmals zum Interview gebeten. Inzwischen hat sich einiges getan. Der Vorstandsvorsitzende der Fußball AG ist derzeit gar nicht aus der Eintracht wegzudenken. Der fußballerische Sachverstand und das wirtschaftlich verantwortungsbewusste Handeln Bruchhagens haben der Eintracht ausgesprochen gut getan. Trotzdem ist nicht jeder Anhänger mit dem sportlichen Abschneiden glücklich - muss er auch nicht sein, immerhin hätte die Eintracht mit jeweils einem Heimspielsieg an den letzten Spieltagen der beiden letzten Spielzeiten auch tabellarisch weit vor den Abstiegsrängen gestanden. Und zumindest in diesem gesicherten Mittelfeld erwartet man die Eintracht auch. Über die Erwartungen und die Realität haben wir uns mit Heribert Bruchhagen genauso so unterhalten, wie über die letzten Unruhen in der Mannschaft oder das Engagement für Anhänger, denen ein Stadionverbot droht.
Interview: Stefan Minden und Jörg Heinisch
Sie hatten bei der Auseinandersetzung um die Verteilung der Fernsehgelder mal gesagt, dass die Bundesligatabelle immer mehr einer Geldrangliste gleicht. Auf welchem Platz steht die Eintracht mittlerweile in dieser Geldrangliste?
Unter der Geldrangliste verstehe ich nicht die Umsatzrangliste, sondern die Liste der Gelder, die der Lizenzspielerabteilung für Spieler zur Verfügung steht. Da liegen wir bei 21,5 Millionen EUR. Rein vom Gefühl meine ich, dass wir da Platz 8 oder 9 einnehmen. In etwa einem viertel Jahr sind die Zahlen allgemein bekannt, aber wir liegen sicherlich im gehobenen Mittelmaß.
Das darf man aber nicht als nackte Zahl sehen, sondern man muss auch die Zeitschienen beachten. Wir kommen aus der 2. Liga, und deshalb müssen wir uns mit diesem Etat auch sportlich erst einmal an diese Position herantasten. Da sind wir auf dem Weg, wie ich hoffe.
Damit nehmen Sie fast die Antwort auf die naheliegende nächste Frage vorweg, nämlich ob man angesichts dieser Platzierung mit dem sportlichen Ergebnis - zuletzt zwei mal Platz 14 - zufrieden sein kann.
Wir sind als Dritter aus der 2. Liga aufgestiegen. Der 1. FC Köln hat eindrucksvolle 14 Punkte vor uns gelegen und weitaus mehr investiert als Eintracht Frankfurt und ist sang- und klanglos abgestiegen. Die Tatsache, dass im letzten Jahr zwölf Vereine mit viel größeren Ambitionen als wir auch auf Abstiegsrängen standen - wir standen nur an drei Spieltagen auf einem Abstiegplatz - zeigt, dass die Berechenbarkeit im Fußball begrenzt ist. Und es ist einfach so, dass man selbst bei höheren Erwartungen und einem höheren Etat darauf eingestellt sein muss, auch mal auf einen Abstiegsplatz zurückzufallen. Das gilt für den Hamburger SV, das gilt für Hannover 96, das gilt auch für Eintracht Frankfurt. Aber je länger wir Bestandteil der Bundesliga sind und wir unseren Etat hochfahren können, desto größer ist Wahrscheinlichkeit, dass wir unserem Ziel, uns in der Bundesliga zu etablieren, Schritt für Schritt näher kommen. Und das kann man inzwischen auch von uns erwarten.
Finanziell klafft eine große Lücke zwischen der Eintracht und den "Top 7"-Vereinen der Geldrangliste (Bayern, Werder, Schalke, Stuttgart, HSV, Dortmund, Leverkusen), bei denen die Gehälter durchschnittlich wohl etwa doppelt so hoch sind wie bei Eintracht Frankfurt. Wie groß sind die Chance der Eintracht, dort irgendwann aufzuschließen?
Das kann man nur über den internationalen Fußball erreichen. Sie müssen wissen, dass wir auch hohe Kosten haben. Die Fernseheinnahmen aus dem internationalen Bereich sind zu 100% "add on". D.h. jede 100 EUR Umsatzsteigerung, die wir hier im Stadion erreichen, sind für uns keine 100 EUR, sondern nur 38 EUR. Sie haben die gleichen Kosten für den Busfahrer, das Hotel, die Organisation und die gleichen Steuern. Aber die internationalen Fernsehgelder sind nackt "add on" und finden sich in der Lizenzspielerabteilung und der Gehälterstruktur wieder. Das macht es uns so schwierig, dieses klassische Delta, das wir zu den Großen haben, auszugleichen. Eigentlich muss man in den internationalen Fußball hineinkommen, um dieses Niveau angreifen zu können. Und es ist kein Zufall, dass die Gruppe derer, die international spielt, konstant bleibt.
Es ist ein weiter Abstand, den wir zu diesen Vereinen haben - und diesen muss man im Augenblick respektieren. Ich habe ein einziges Problem, an dem ich mit Vehemenz arbeiten und auch Lobbyismus betreiben muss, finde aber nur schwer Ansprechpartner: Das gefühlte Leistungsvermögen der Eintracht steht in keinem Verhältnis zum realen Leistungsvermögen der Eintracht. In die Vergangenheit wird so viel hinein interpretiert. Man möchte an "alte Zeiten anknüpfen". Aber das ist ja falsch - Bernd Hölzenbein erzählt mir das und Sie werden es als Eintrachtler noch viel besser wissen als ich - "alte Zeiten" bedeutet, dass die Eintracht mal eine bessere, mal eine mittlere und mal eine schlechtere Rolle gespielt hat. "Alte Zeiten" sind jene Zeiten, in denen man sich mit den Traditionsvereinen der Bundesliga - Bayer Leverkusen und der VfL Wolfsburg gehören nicht dazu - gemessen hat. Insofern sind wir gar nicht so weit davon entfernt. Die Eintracht ist auch nie Deutscher Meister geworden, seitdem es die Bundesliga gibt. Jetzt muss man die Kirche schön im Dorf lassen. Ich glaube aber, dass wir ein Bestandteil - und durch die Zuschauer, die Metropole Frankfurt und die Tradition des Vereins sogar ein wichtiger Bestandteil - der Bundesliga sind. Es ist ganz wichtig, dass man mit diesem Bestandteil auch zufrieden ist. Wenn sich hier ein Druck entwickelt, indem man neue Ziele ausruft und den internationalen Fußball als wirkliches Ziel ansieht und auch die Erwartungshaltung in diese Richtung geht, dann steht das im Gegensatz zu den eigentlichen Interessen von Eintracht Frankfurt. Die Tatsache, dass die Verantwortlichen der Vereine jetzt im Juli bereits genötigt werden, Ziele zu benennen, ist virulent schon der erste Schritt in die falsche Richtung. Im letzten Jahr haben 36 Vereine 25 Trainer entlassen. Warum sind sie entlassen worden? Nicht weil sie untüchtig waren, sondern weil sie die Erwartungshaltung, die sie im letzten Juli zu postulieren genötigt wurden, nicht erfüllen konnten. Den Wettbewerb in der Bundesliga darf man dabei aber nicht aus der Acht lassen. Die Fans nehme ich davon aus, weil die Fans das gute Recht haben, emotional zu sein und ihre Wünsche zu verbalisieren und zu realisieren. Aber wer Verantwortung hat, der muss in Kenntnis der Dinge sehr sorgfältig mit der Verantwortung und der geschürten Erwartungshaltung leben. Und ich muss immer wieder die Leute im Umfeld überzeugen, wie schwer, vielfältig und unberechenbar die Bundesliga ist. Dennoch, wir werden uns Schritt für Schritt entwickeln.
Welche Rolle spielen ggf. Transferüberschüsse, um den Quantensprung in Richtung der "Top 7" zu schaffen, dass man es schafft, einen Spieler groß herauszubringen und teuer abzugeben?
Wir haben bislang noch nie mit dem Gedanken gespielt, einen Spieler abzugeben. wir sind gewillt, sportlich nach oben zu schauen. Nie und nimmer spekulieren wirch mit Transfererlösen, indem beispielsweise Marco Russ mit dem Ziel ausgebildet wird, ihn zum Stammspieler der Eintracht zu machen und dann für eine bestimmte Summe zu verkaufen. Für Kyrgiakos hätte ich sicher auf dem englischen Markt ein paar Millionen erhalten. Auch für Vasoski würde ich zwei, drei, vier Millionen bekommen. Aber ich habe gar nicht dieses Ziel. Wir wollen uns verbessern, das ist das alleinige Ziel! Nur wenn sich ein Spieler immens an uns vorbei entwickelt, wie bspw. ein Marcel Jansen in Mönchengladbach, und Nationalspieler wird, dann muss man dem Markt Rechnung tragen. Aber das ist nicht unser Ziel.
Es ist alles viel komplizierter, als man es oft von außen betrachtet. Und diese Komplexität ist nicht immer einfach vermittelbar. Das nächste Thema, das aufkommen wird, spüre ich förmlich: Dass das Umfeld sagt: "Warum investiert Ihr nicht? Die sitzen auf ihrem Geld!" Ja, wir haben ein bisschen Geld, aber wo steht denn geschrieben, dass man Geld, was man hat, immer in Gänze ausgeben muss? Wenn man den Markt beobachtet und sieht, was man dafür bekommt, dann habe ich sicherlich einen zusätzlichen Spieler mit ordentlicher Qualität - aber mehr auch nicht. Es gibt viel mehr, was man beachten muss. Wissen Sie, wie der nächste Fernsehvertrag verhandelt wird? Ich muss als Vorstandvorsitzender einer AG auch ein "worst case"-Szenarium in Betracht ziehen. Davon weiß überhaupt keiner etwas. Ich bin verpflichtet, diese Fälle mit meinen Kollegen Thomas Pröckl und Heiko Beeck durchzuspielen. Es gibt die prognostische Komponente. Ich habe oftmals mehr Kenntnis von dem Markt und wie sich die Dinge entwickeln. Ich kenne die Businesspläne verschiedener Private Equity-Gesellschaften und die Kofler-Strategien und mahne zur Zurückhaltung. Ich bilde mir ein, zu wissen, was für die Eintracht gut und was nicht gut ist, weil ich mich von morgens bis abends mit diesen Dingen beschäftige. Ich habe einen Informationsvorsprung - und das führt zu Entscheidungen, wobei ich Verständnis dafür habe, wenn andere sie nicht immer nachvollziehen können.
Glauben Sie, dass das ligatypisch ist, diese Vorsicht, wie u.a. der nächste Fernsehvertrag aussieht?
Nein. Es ist auch ligauntypisch, Liquidität zurückzuhalten. Als ich in Schalke junger Manager war, habe ich mich von der öffentlichen Meinung treiben lassen. Wie soll ich da Konflikte lösen? Irgendwie schielt man als junger Manager auch nach einer Vertragsverlängerung. Damals war ich kein Vorstand, sondern nur administrativ tätig. Sollte ich mich mit dem Aufsichtsrat und dem Vorstand anlegen? Ich habe damals die Zusammenhänge noch nicht erkannt. Und Liquidität zurückzuhalten, ist in der Bundesliga ein Fremdwort.
Wird die Auflösung der NFL und damit der Wegfall der Stadionnutzung durch Galaxy Auswirkungen auf die Eintracht haben? Sicherlich keine direkten, aber vielleicht dann, wenn neue Verträge verhandelt werden.
Sie nehmen es in Ihrer Frage vorweg. Auf den ersten Blick haben wir eine Regelung, die noch auf viele Jahre gilt. Aber wenn es dem Steuerzahler schadet, dann werden die Begehrlichkeiten auf der anderen Seite höher. Dann wird man bei den neuen Verhandlungen möglicherweise mit anderen Geschäftsfeldern argumentieren. Aber wer sagt Ihnen eigentlich, dass die Veranstaltungen von Galaxy für den Stadionbetreiber gewinnbringend waren? Wir kennen die Verträge der Galaxy mit der Stadt nicht.
Wie wichtig ist die Jugendarbeit des Vereins für die sportliche Perspektive? Und wie bewerten Sie diese Arbeit bei Eintracht Frankfurt?
Erst einmal muss ich feststellen, dass wir in diesem Jahr aus unterschiedlichen Vereinbarungen 3 Millionen EUR an den Verein gezahlt haben. Damit sind wir in der Bundesliga im oberen Mittelfeld, was die Aufwendungen für das Nachwuchszentrum angeht. Die Nachwuchsarbeit des Vereins war in der Vergangenheit ausgesprochen gut. Das sieht man daran, dass sich eine Vielzahl von Talenten in unsere Mannschaft integriert hat. Wir müssen aber im Augenblick feststellen - und ich glaube dass Klaus Lötzbeier und Armin Kraaz das genauso sehen -, dass die Spieler, die mit 18 Jahren als herausragend vom Riederwald kommen und den Weg in die Lizenzspielerabteilung finden - denken wir an Reinhardt, Huber, Cimen, Chaftar, Toski, jetzt auch Ljubicic -, im Gegensatz zur vorherigen Generation - Jones, Preuß, Streit - es schwer haben, den nächsten Schritt nicht gehen, sieht man von Patrick Ochs und Marco Russ einmal ab. Wir warten auf den Spieler, der endlich mal wieder den Durchbruch schafft. Aber in den letzten beiden Jahren habe ich das Gefühl, dass diese Spieler noch besser auf die Profizeit vorbereitet sein müssten.
Wie würden Sie sich wünschen, dass ein vertraglich gebundener Spieler reagiert, wenn er von einem Topklub ein Angebot mit - sagen wir mal - Gehaltsverdoppelung erhält? (zum Fall "Albert Streit")
Idealerweise müsste der Spieler auf mich zukommen und mir mitteilen, welche Wünsche er hat. Erst einmal müsste sich satzungsgemäß Schalke 04 an mich wenden und mich um Erlaubnis bitten, an den Spieler herantreten zu dürfen. Dazu müsste ich "ja" sagen. Wenn ich "nein" sage, darf gar keine Kontaktaufnahme stattfinden. Wäre der Spieler zu mir gekommen, hätte es gar nicht bedurft, dass der Spieler mit dem Trainer einen Streit vom Zaun bricht. Wenn ein Spieler wie aus heiterem Himmel ein schlechtes Verhältnis zum Trainer entdeckt, ist das doch alles unter der Rubrik "Vereinswechsel" zu sehen.
Wie kann sich Eintracht Frankfurt über den Charakter eines Spielers vor einer Verpflichtung schlau machen?
Der ideale Weg ist, dass man mit den drei, vier Trainern, die zuvor mit dem Spieler zusammen gearbeitet haben, telefoniert. Das geht aber nicht immer, weil man durch eine vorherige Veröffentlichung einen Transfer gefährden würde. Bei Inamoto können wir nur etwas über den Charakter des Spielers auf dem Platz sagen. Ich kann Ihnen aber nichts sagen, wie er in zwischenmenschlichen Beziehungen ist bzw. wie er sich in die Gruppe einfügt. Ab einer gewissen Größenordnung kann man das gar nicht mehr feststellen, weil es das gar nicht gibt. Bei Galatasaray Istanbul gibt es keine Gemeinschaftsabende. Da gibt es ein Ensemble, dass sich aus Individualisten zusammensetzt. Teambildungen wie bei uns in der 2. Liga gibt es da nicht mehr. Kyrgiakos ist ein wunderbarer Junge, der immer gut drauf ist. Der duscht sich, setzt sich in sein Auto und fährt nach Hause. es ist schwer, ihn am Eintracht-Leben teilhaben oder Sprachunterricht nehmen oder an anderen Gemeinsamkeiten teilnehmen zu lassen. Wie soll ich das nun bewerten, unter "minus" oder "plus"? Sicherlich nicht unter "plus"! Das ist eine veränderte Erwartungshaltung, auf die ich mich auch erst einstellen muss. Und ich weiß nicht, ob Inamoto dazu neigt, die Gemeinschaft oder das Weite zu suchen. Takahara ist auch sehr still. Um ein homogenes Team zu bekommen, bedarf es heutzutage großer Anstrengungen.
Bei Kyrgiakos kann man zwar bezüglich seines spielerischen und sportlichen Wertes sicherlich unterschiedlicher Auffassung sein, aber er hat immer eingebracht, was er einbringen konnte und es gab nie ein Problem um ihn.
Nie! Er trinkt keinen Alkohol, er raucht nicht! Er würde sich auch nie den Journalisten gegenüber kritisch zum Trainer äußern. Dazu würde er sich auch nie hinreißen lassen, selbst wenn er mal nicht gespielt hat. Aber er ist bislang nicht so integrierbar in die Eintracht-Familie wie gewünscht. Das haben wir wiederholt mit verschiedensten Dingen versucht. Aber das ist eines unserer Probleme, wie wir uns über den Typ des Spielers erkundigen können. Bei Mahdavikia hatten wir Bernd Wehmeyer und Holger Hieronymus - die haben einen Persilschein ausgestellt, dass er ein absolut positiver, korrekter Typ sei. Da sind wir uns sicher, dass er Teamplayer ist. Bei Inamoto kann ich Ihnen das nicht sagen - da reicht unsere Vorbereitungszeit nicht aus. Wir müssen auch leider von dem klassischen Bild der Kameradschaft und der Eintracht-Familie abrücken. Das ist heute nicht mehr umsetzbar. Die Spieler sind sehr auf sich bezogen im privaten Bereich, dafür aber viel professioneller im sportlichen Bereich als früher.
Sind die Gemeinschaftsabende der Spieler in der letzten Zeit nicht grundsätzlich weniger geworden?
Das ist aber nicht untypisch. Das bringt die Zeit und die Internationalität, die da reinkommt. Das ist der Preis, und das ist bei allen Vereinen gleich. Diese Ideale sind nicht mehr aufrecht zu erhalten. Das ist eine Interessengemeinschaft. Je mehr man in der Liga nach oben kommt und je heterogener die Gruppe ist, desto mehr verstärkt sich diese Tendenz. Und es rettet die Veranstaltung nicht, wenn mein Vorstandskollege Heiko Beeck zur Gitarre greift. Das ist zwar eine wunderbare Geste, die die Spieler lieben, aber es löst die grundsätzlichen Probleme nicht. Das ist leider so.
Wie nah sollte denn die Sportliche Leitung an der Mannschaft sein, um die gruppendynamischen Prozesse zu beobachten?
Wenn ich mit einem Spieler etwas zu besprechen habe, dann gehe ich mit ihm irgendwo Mittag essen oder einen Kaffee trinken, aber ich würde niemals mit ihm in eine Kneipe oder eine Disco gehen. Beim ersten Bier freuen sich die Spieler, dass man dabei ist, beim zweiten auch noch, beim dritten Bier wird der Spieler kritisch und beweint sein Schicksal. Und wenn er es nicht ist, dann ist es seine Frau. So etwas kommt überhaupt nicht in Frage.
Wir haben eine klare Rollenverteilung, die meiner Grundhaltung entspricht, die ich seit 1988 immer in der Bundesliga praktiziert habe. Ich war von 1982 bis 1988 Trainer beim FC Gütersloh, das war nur ein Regionalligist, aber wir haben auch die Aufstiegsrunde zur 2. Liga erreicht. Da war ich noch Spielertrainer. Ganz unerfahren bin ich nicht. Ich kann mich noch eine Situation erinnern, als wir in der Aufstiegsrunde gegen St. Pauli gespielt haben, als mein Präsident Dr. Rainer Schilz von der Tribüne zur Bank runterlief und rief: "Ey, willst nicht mal auswechseln?". Ich habe ihm gesagt: "Rainer setz' Dich augenblicklich auf Deinen dicken Hintern und lass mich hier in Ruhe!" Diese sechs Jahre Trainertätigkeit hat bei mir zu der Einstellung geführt: Die Autorität des Trainers ist ein Gut, das man nie angreifen darf.
Ich habe noch nie seit 1988 - weder in Schalke, noch in Hamburg - eine Fensterrede in einer Kabine gehalten. Im Bus sowie in der Trainer- und Mannschaftskabine herrscht die Trainerautorität - und diese wird nie von jemanden angerührt. Das ist meine Strategie, und diese gilt, solange ich die sportliche Verantwortung habe. Das schließt aber nicht aus, dass ich mich jeden Morgen mit Bernd Hölzenbein und Friedhelm Funkel in meinem Büro treffe, wo über alles gesprochen wird, was sich entwickelt hat. Es gibt auch Dinge, die ich einbringe, auf denen ich bestehe, aber das würde niemals öffentlich werden.
Ich bilde mir ein, ich bin nah genug an der Mannschaft dran. Ich habe Kontakt zu den Spielern, aber nie in einer Weise, dass sie die Chance sehen könnten, die Autorität des Trainers zu untergraben oder ihre Nöte zur sportlichen Situation mir anzutragen. Wenn jemand finanzielle, familiäre, schulische oder Umzugs-Sorgen hat, hat er jederzeit bei mir Zugang. Das ist einfach ein Führungsstil, der falsch sein kann und keinerlei Anspruch auf Richtigkeit erhebt, aber ist so. Meine Kollegen Heiko Beeck und Thomas Pröckl tragen diesen Führungsstil im Bereich Fußball voll inhaltlich mit.
In der letzten Rückrunde ist die Einflussnahme auf die gruppendynamischen Prozesse aber nicht so gut gelungen, oder?
Ich habe beim Trainingslager in Portugal gefühlt, dass Amanatidis, der im Dezember verletzt war, unzufrieden war. Auch andere Spieler hatten gehofft gesund zu werden und in die Mannschaft zu kommen. Dann hat sich Friedhelm Funkel im Rahmen eines Gesprächs zu einem einzigen Satz hinreißen lassen: "Auch Amanatidis ist nicht gesetzt."
Aus diesem Satz wurde in Deutschland eine Überschrift . Das hat dann Reaktionen durch Amanatidis hervorgerufen. Dabei war natürlich kein einziger Spieler gesetzt! Wir sind nicht baustellenfrei. Egal, was wir machen, es wird immer Baustellen geben. Jetzt ist es die Baustelle "Albert Streit". Aber die Summe aller Baustellen, die wir in den letzten Jahren hatten, ist eigentlich zufriedenstellend. Und diese konfliktbelasteten Baustellen gibt es auch bei allen Vereinen. Deshalb gibt es keinen Grund zur Panik.
Ist Ihnen mulmig geworden, als Sie erfahren haben, dass Streit, Amanatidis und Kyrgiakos gemeinsam im Urlaub waren?
Das habe ich nicht gewusst. Ich habe es dann gelesen. Aber ich habe mir keine Gedanken gemacht. Sie müssen wissen, dass ich Amanatidis damals aus Überzeugung geholt habe. Ich bin mit dem Auto von Spanien nach Portugal gefahren und habe mich dort mit Magath und Amanatidis getroffen und habe ihn überredet. Beim zweiten Mal habe ich ihn dann wieder zurückgeholt, wenngleich auch mit sehr viel Aufwand, etwa 2 Millionen EUR. Das war unser teuerster Transfer seitdem ich bei der Eintracht bin. Ich habe zu diesem Spieler ein ausgesprochen gutes Verhältnis und mache mir keine Sorgen. Dafür sind alle Drei zu unterschiedliche Persönlichkeiten. Ansonsten steht Amanatidis für die Eintracht wie eine "1" und ist ein Vorzeigeprofi.
Am 23./24. Juni fand in Leipzig der sogenannte "Fankongress" statt, offiziell eine Gemeinschaftsveranstaltung von DFB und DFL,...
Ich habe von den Ergebnissen bezüglich der Stadionverbote gelesen. Allerdings beeinflusst mich das in meiner Arbeitsweise nicht. Rechtsstaatliche Gesichtspunkte haben einen ganz hohen Stellenwert. Und dieses Nichteinrederecht kann ich nicht akzeptieren, dass gegen jemandem eine Strafe ausgesprochen wird, und dieser keine Chance hat, dagegen tätig zu werden. Rechtsstaatliche Gesichtspunkte gelten auch hier. Deshalb habe ich das Positionspapier unterstützt und bei der DFL so geltend gemacht. Ich habe mit Dr. Zwanziger darüber gesprochen, dann mit Willi Hink und Helmut Spahn, drei Stunden! Ich habe bei allen Dreien auf rechtsstattliche Prinzipien gepocht und mich aus dieser Überzeugung heraus für Ihr Papier eingesetzt.
Ich setze mich für jeden einzelnen Fall ein. Ich habe aber zu viel durch Polizeimaterial gesehen, um Vertrauen in die Aussage eines Einzelnen zu haben. Das kann dazu führen, dass ich Menschen Unrecht tue. Aber ich warte auf den Tag, wo ein Fan zu mir kommt uns sagt: ", ich habe einen Polizisten beleidigt und noch einen anderen gegnerischen Fan getreten. Wie kann ich das wieder gutmachen? Ich möchte wieder zum Fußball." Für den würde ich durchs Feuer gehen. Aber ich erlebe ihn nicht. Ich erlebe nur den Fan, der sagt, er wäre bepöbelt worden, bespuckt worden, von den gegnerischen Fans oder von der Polizei provoziert und hätte deshalb so oder so reagiert.
Es ist aber auch klar, dass derjenige, der die Einsicht hat, nicht bei Ihnen sitzt. Die, die zu Ihnen kommen sind ja diejenigen, die sich beschweren. Wer sein Fehlverhalten einsieht und deshalb ein Stadionverbot akzeptiert, hat keinen Anlass, das Gespräch mit Ihnen zu suchen. Und seien Sie versichert: Es gibt solche Leute.
Gut, das leuchtet ein, da haben Sie natürlich Recht. Aber ich kann für mich nur feststellen, dass ich solche Leute - leider - noch nicht getroffen habe.
Welchen Stellenwert räumen Sie ganz allgemein der Fanarbeit bzw. Fanbetreuung heute ein?
Ganz wesentlich. Ich glaube, dass wir in der Bundesliga eine Ersatzfunktion übernommen haben - das muss auch der Staat erkennen. Früher haben wir uns in der katholischen Jugendgemeinschaft, im CVJM, bei den Pfadfindern, Messdienern oder im Vereinsleben wiedergefunden. Jetzt fallen den Fußballklubs ja mehr und mehr sozialpädagogische Aufgaben zu. Und deswegen können wir gar nicht genug dafür tun und nicht genug Geld dafür bereit stellen. Ich bin auch bereit, immer wieder in Gemeinschaftsaktionen zu investieren. In der Vergangenheit haben wir gar nicht mit diesen Aufgaben gerechnet. Viele junge Menschen sehen die Eintracht als ihre Heimat an, vor allem wenn berufliche oder familiäre Banden fehlen. Darauf müssen wir uns einstellen. Und ich würde mir wünschen, dass sich noch mehr Fanclubs aus unterschiedlichen Gruppierungen gründen und auch darauf Rücksicht nehmen, dass es unterschiedliche Interessen gibt. Es gibt bürgerliche Fanclubs, fußballfanatische Fanclubs, Ortsgruppen, aber sicherlich auch Gruppen, die wir noch nicht angesprochen haben, die wir evtl. unter dem Deckmantel der Eintracht organisieren können. Das ist unser pädagogischer Auftrag, für den wir gar nicht genug Leute einbinden können. Mir fehlt die Zeit, da Konzepte zu entwickeln, aber wer auch immer uns Konzepte vorlegt - ich kann mir nicht vorstellen, dass wir uns dem verschließen, auch weil wir momentan wirtschaftlich gut dastehen. Wenn die Zeiten wieder schlechter werden, kann ich nicht sagen, wie es dann aussieht.
Ihnen wird in Presseartikeln immer wieder eine große Nähe zu Arminia Bielefeld nachgesagt. Was hat Arminia Bielefeld, was die Eintracht nicht hat und daher Ihre Augen blitzen lässt, sobald von diesem Klub die Rede ist? Die Heimat?
Das trifft gar nicht zu, meine Heimat ist nicht Arminia Bielefeld, sondern Gütersloh. Aber meine größten Verdienste in meiner Fußballkarriere habe ich vielleicht bei Arminia Bielefeld erworben, weil ich - als der Verein pleite war - von meinem Freund Jürgen Hunke 8 Millionen DM bekommen haben, im Vertrauen darauf, dass ich ihm durch Fernsehgelder usw. das Geld in den Folgejahren wieder zurückgebe, was auch so gekommen ist. Sonst hätte es den Verein nicht mehr gegeben. Aber ich habe zu Arminia Bielfeld keine emotionale Beziehung. Bei Schalke 04 würde ich das eher sagen - das war meine erste Stelle im Profifußball. Dort bin ich auch Mitglied - und beim HSV, dort hat mich der Präsident gezwungen, Mitglied zu werden. Das war 1992. Und dann habe ich irgendwann mal festgestellt, dass ich dort jetzt Mitglied bei den Supporters bin. Das hat man vereinsintern, ohne mein Zutun, geregelt.
Können Sie sich vorstellen, sich irgendwann noch einmal beruflich zu verändern, also einen Posten bei einem anderen Verein oder in der DFL anzutreten, oder werden Sie bis zu Ihrem Ruhestand Eintracht Frankfurt erhalten bleiben?
Nein, ich werde bestimmt nicht mehr wechseln! Ich hatte bei der DFL einen tollen Job als selbständiger Geschäftsführer, habe aber schon nach einem halben Jahr gemerkt, dass ich doch etwas anderes wollte. Ich hatte freitags plötzlich frei und musste Protokolle anfertigen. Ich habe sehr schnell gelernt, dass ich im Vereinsleben zu Hause bin. Ich fühle mich bei der Eintracht sehr wohl und habe sehr ordentliche Mitarbeiter. Wir sind gut organisiert und Kollege Dr. Pröckl hält mir den Rücken frei. Strategische Dinge entscheiden wir im Team mit Heiko Beeck. Ansonsten sehe ich mich als einen Mann des Ausgleichs: Ich interessiere mich für Pascal Behrenbruch und seinen Zehnkampf. Ich bin über die B- und die A-Jugend informiert. Ich informiere mich auch über das Vereinsleben, habe Kontakt zu Herrn Lempart von der Tennisabteilung, zu Frau Bechtold und Herrn Burkert. Ich kenne die Problematiken, bin auch am Projekt Riederwald interessiert. Das ist ja klar. Und auch der Dialog auf der Arbeitsebene mit Herrn Moske und Herrn Hellmann ist sehr gut. Ich achte auch auf die Vereinskultur und verzichte auch darauf, Dinge mal zu kommentieren, wie das von deren Seite genauso ist. Unser Verhältnis zu den Gremien des Vereins und dem Aufsichtsrat ist freundschaftlich. Ich sehe meine Aufgabe bei der Eintracht noch lange nicht als erfüllt an. Wir sind aber auf einem guten Weg.
Insgesamt bin ich an jedem Spieltag stolz, wenn ich sehe, was sich in der Kurve abspielt, auf der Gegentribüne, im Familienblock und auf der Haupttribüne. Das hat Frankfurt so noch nicht erlebt. Das ist nicht mein Verdienst, aber das Hauptverdienst derer, die die Eintracht gebildet haben. Die Tradition des Vereins ist der Hauptgrund. Die Entscheidung, das Stadion zu bauen, ist ein weiterer. Aber wir haben es auch gut gemacht, dass wir zum richtigen Zeitpunkt die Dinge in die richtige Richtung gestoßen haben. Es war eine Punktlandung. Dass wir im Osten noch dreimal gewinnen und 1860 München zu Hause gegen den 1. FC Saarbrücken 1:1 spielt, war ja nicht mehr zu erwarten. Da hat das Glück natürlich auch eine große Rolle gespielt. Wir müssen behutsam mit allem umgehen, zumal wir wissen, wo Bruchstellen sein können. Wir müssen diszipliniert daran arbeiten. Und ich glaube, dass ich eine integrative Kraft bin, die das durchschaut und zum Wohle von Eintracht Frankfurt darauf einwirken kann. Mal im Scherz gesagt, ich glaube, das fragile Gebilde Eintracht Frankfurt ist noch nicht so weit, auf einen integrativ denkenden und handelnden AG-Vorstand verzichten zu können.
Herr Bruchhagen, vielen Dank für das Interview!
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