Ausgewählte Interviews
Heribert Bruchhagen: Der Realist und die Erwartung |
aus Ausgabe Nr. 200 (Dezember 2011)...
(jh) Die Zukunft ist nicht immer leicht einzuschätzen. Auch in Personalfragen hält das Leben der Eintracht manche Überraschung bereit: "Wenn ich dann fernsehe und sehe Steinhöfer in Manchester und Kweuke [für Sparta Prag, Anm. d. Red.] mit Abstand an der Spitze der europäischen Torschützenliste, leider …" seufzte der Vorstandsvorsitzenden der Eintracht Frankfurt Fußball AG, Heribert Bruchhagen, der selbst nun auch schon etwa acht Jahre die Geschicke der Eintracht leitet, am Ende unseres Interviews. Nach etwas über vier Jahren haben wir ihn wieder um ein Interview gebeten. Auch wenn wir vor den im Dezember anstehenden Präsidiumswahlen beim e.V. Themen ausgespart haben, die sich auf das Verhältnis von AG und e.V. bzw. derer handelnden Personen beziehen, gab es genug Themen, die wir bei dem Gesprächstermin im Oktober anschneiden konnten. Und das schwierige Vorausschauen sowie das einfachere Zurückblicken spielten dabei eine nicht unwesentliche Rolle.
Herr Bruchhagen, die Frankfurter Rundschau hat im September geschrieben, die Eintracht hätte seit Jahresbeginn "sukzessive an Format verloren. [Der Verein] hat seine Ideale aufgegeben, die weichen Faktoren wie Kontinuität, Verlässlichkeit oder Identifikation zählen nicht mehr. Der Verein ist beliebig geworden, austauschbar, fast schon belanglos. Für was steht denn Eintracht Frankfurt derzeit? Am Montag titelte der Kicker in einem Bericht über die Hessen: «Der VfL Wolfsburg der zweiten Liga. Und Wolfsburg ist das Synonym für Söldnertum, Geldverbrennung, Konzept- und Bindungslosigkeit.»" Wie haben Sie es aufgenommen, als Sie das gelesen haben?
Heute, am 4.10.2011 schreibt die gleiche Zeitung, die Frankfurter Rundschau: "Zu gut für die Klasse?" Sie schreibt: "Die Mannschaft hat sich gefunden." Es ist gelungen, "zu integrieren, richtig zu positionieren. Gerade Idrissou, der schon fünf Tore erzielte, hat die Qualität der Mannschaft noch einmal gesteigert." Das konterkariert die Aussage der Frankfurter Rundschau aus dem September in eindrucksvoller Weise. Das heißt, gerade diese Spieler von denen man glaubt, dass sie durch Verbindungslosigkeit und Söldnertum geprägt sind, spielen eine große Rolle in unserer Mannschaft.
Die Eintracht hat in den Jahren unter Ihrer direkten sportlichen Verantwortung bei den Neuverpflichtungen viel Wert auf einen guten Charakter gelegt. Gilt diese Messlatte jetzt auch noch? Oder ist sie ausgesetzt und wird wieder relevant?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir mit einer charaktervollen Mannschaft abgestiegen sind. Das sind Spieler, die uns seit sechs, sieben, acht Jahren begleitet haben und von deren Charakter ich vollständig überzeugt bin. Wir hatten in der letzten Saison nach Bayern München in Spielminuten den höchsten Anteil an Spielern auf dem Platz, die aus der eigenen Jugend kommen - und wir sind abgestiegen. Die Spieler waren charaktervoll; die Mannschaft war charaktervoll; beide Trainer - Michael Skibbe und Christoph Daum - haben einen erstklassigen Fußballcharakter. Ich bin überhaupt nicht bereit, hier wegen des sportlichen Misserfolgs etwas Negatives hinein zu interpretieren.
Wir sind auch weiterhin bemüht, dieses Phänomen hier aufrechtzuerhalten. Wenn man nach einem Abstieg innerhalb von fünf Wochen eine Mannschaft zusammenstellen muss, dann gelingt es einem nicht, vollständig die Vergangenheit der jeweiligen Spieler durch eigentlich notwendige Gespräche - beispielsweise mit ehemaligen Trainern von ihnen - zu recherchieren. Da muss man schon pragmatisch handeln und in der zweiten Liga den einen oder anderen Kompromiss im Vergleich zur ersten Liga eingehen. Man muss abwägen zwischen der Schnelligkeit des Handelns und sinnvollem Aufbau einer Mannschaft. Das ist ein Spagat. Und ich glaube, dass es dem Bruno und dem Trainer sehr gut gelungen ist, diesen Spagat zu schaffen.
Ich bin immer wieder auf Fans gestoßen, die diesen ungewöhnlichen Abstieg selbst nicht verarbeitet haben - weil sie ihn nicht nachvollziehen können. Und die Eintracht hat diesen ja auch öffentlich nicht aufgearbeitet - ob sie es nun hätten tun können oder nicht. Auch wenn wir das jetzt zum Jahresende nicht mehr unbedingt vertiefen müssen, möchte ich einen Punkt hinterfragen, weil ich diesen selbst nicht beurteilen kann. Ich halte es für möglich, dass ein mitauslösender Moment für den Bruch in der Winterpause so ausgesehen haben könnte: Der Trainer hat auf Verstärkungen für den Kader gedrängt, wurde aber von der gegenläufigen Realität eingeholt, in der der Aufsichtsrat auf Spielerverkäufe gedrängt hat, um den sich (sonst) ergebenden Jahresverlust zu verhindern oder zu verringern. Wodurch der Trainer ernüchtert war. Können Sie dem komplett widersprechen?
Wir als Vorstand haben in Absprache mit Michael Skibbe die Entscheidung getroffen, dass wir unseren Kader verkleinern wollen. Das war keine Aufforderung des Aufsichtsrats. Deshalb haben wir ja auch fünf Spieler verkauft - diese hat Skibbe alle freigegeben. Darüber hinaus habe ich mit Karim Haggui in Hannover intensivst in der Winterpause verhandelt. Dort habe ich ein erstklassiges Angebot gemacht. Das weiß auch Michael Skibbe, der zum Teil bei den Verhandlungen dabei war. Wir wollten sehr wohl einen Innenverteidiger bekommen. Aber wir haben ihn nicht bekommen. Und danach hat Michael gesagt: "Wenn wir Haggui nicht bekommen, dann brauche ich auch keinen anderen." Das hat er auch im Trainingslager in der Türkei in einem Interview gesagt: "Wir brauchen keinen Innenverteidiger mehr." Dass das nach dem Abstieg unterschlagen wurde, ist normal, weil alle auf der Suche nach Gründen sind.
Ich habe in einer Mannschaftssitzung nach dem Abstieg unsere Spieler ganz klar angewiesen, ausschließlich darüber zu sprechen, welchen Anteil sie persönlich an dem Abstieg haben. Und ich bin da auch selbst voran gegangen und habe gesagt: "Ich habe als Vorstandsvorsitzender die Hauptverantwortung für diesen Abstieg." Wie sich das gehörte. Unsere Spieler haben sich daran gehalten, bis auf einen - leider hat Ioannis Amanatidis sich nicht daran gehalten. Mit seiner Aussage "Hier muss ausgemistet werden" hat er gegen die Regeln des Sports in erheblicher Weise verstoßen. Und nur das werfe ich ihm vor. Während Ochs, Russ und Alexander Meier sich in Interviews nur auf ihren Anteil an diesem Abstieg beschränkt haben.
Wenn man mit den gleichen Spielern und dem gleichen Trainer, dem gleichen Platzwart und dem gleichen Zeugwart, dem gleichen Umfeld, wie auch dem Aufsichtsrat und dem Vorstand, die erfolgreichste Hinrunde seit 17 Jahren spielt, wie man dann in so eine Umkehrung kommen kann ... - alle Indizien, die man heranzieht, reichen nicht aus, das zu erklären. Und deswegen kann ich nur sagen, dass ich die Verantwortung dafür übernehme, aber ich kann und will nicht eine dezidierte Begründung dafür geben, weil ich nicht bereit bin, irgendeinen zu beschädigen, der zu unserem Gesamtteam hier gehört hat.
Die "Freunde der Eintracht" haben vor Jahren finanziell ausgeholfen, indem sie Anteile der AG gekauft haben. Ein Rückkauf sollte baldmöglichst vorgenommen werden. Warum ist das nach Ihrer Einschätzung bis zum heutigen Tag nicht passiert?
Das ist mir nicht bekannt, dass das vereinbart ist. Ich habe hierzu auch Thomas Pröckl gefragt. Darüber hinaus bin ich froh, dass die AG die "Freunde der Eintracht" hat, weil diese kein Ziel der Gewinnmaximierung haben. Es wäre mir auch nicht angenehm, wenn die Anteile der Aktionäre in regelmäßigen Abständen wechseln würden - damit wäre der Eintracht Frankfurt Fußball AG nicht gedient. Ich bin froh, dass wir mit den "Freunde der Eintracht" eine stabile Größe haben. Je mehr die Anteile in sicheren Händen sind, umso stabiler ist die AG aus meiner Sicht.
Sie vermitteln bei Vorstellungen von neuen Funktionsträgern oder auch mal Spielern manchmal eine schelmische Genugtuung, dass die Journalisten den betreffenden Namen nicht auf der Rechnung hatten. Zeugt das auch für Ihr Missfallen über breite Spekulationen der Presse über Neuverpflichtungen ohne konkrete Hinweise? Oder ist Ihnen das vielleicht auch mal ganz recht, weil Sie dann ungestörter Gespräche mit Ihren Favoriten führen können?
In den letzten acht Jahren ist es mir in 80% der Fälle gelungen, "just in time" alle Medien über eine Presseerklärung über eine Verpflichtung oder einen Verkauf zu informieren, ohne dass ich vorher irgendwas hätte preisgeben müssen. Das hat aber nichts damit zu tun, dass man medienfeindlich ist, sondern dass man das Beste für Eintracht Frankfurt will. Wenn man das in aller Ruhe im stillen Kämmerlein gemacht hat, ist das aus meiner Sicht die beste Art und Weise, einen Transfer abzuschließen. Dass das nicht immer gelingt und die BILD-Zeitung mit ihrem Netzwerk Wind von der Sache bekommen hat, das ist mir auch schon passiert, aber tendenziell habe ich immer so verfahren, dass ich erst bekannt gegeben habe, wenn etwas unterschrieben war.
Der geplatzte Caio-Verkauf nach Moskau dürfte für Sie nach dem Abstieg einer der größten Schrecken gewesen sein. Und das nur weil sich ein Mitspieler bei der BILD verplappert hat ...
Ich kenne genau die Spur, wie es war. Michael Ebert hat im "Kicker Online" abends um 19 Uhr diesen Transfer bekannt gegeben. Und dann ist es über Moskau ins Trainingslager in die Türkei gegangen. Das hat mir Roger Wittman genau erzählt. Der Informant von Herrn Ebert hat sicherlich eine große Mitschuld daran. Wenn meine Theorie stimmt.
In einer Journalistenrunde im Eintracht-Mu-seum hat BILD-Reporter Roland Palmert berichtet, dass sich ein Spieler im Telefonat bei ihm verplappert hätte, weil er den Reporter gefragt hätte, ob der Wechsel schon klar sei.
"Kicker Online" hat zuerst gemeldet, dass Caio zu Dynamo Moskau wechselt. Dann haben russische Journalisten recherchiert, dass man sich in Deutschland über die Ablösesumme von 3 Millionen Euro "totlache" und haben den Präsidenten des Klubs im Trainingslager verständigt, woraufhin die sich dann etwas mit einer Knieschädigung ausgedacht haben, um den Transfer noch ablehnen zu können. Das war bitter, aber beweisen, warum das so gekommen ist, kann ich das natürlich nicht.
Wären Sie der Reporter gewesen, der es gewusst hatte, hätten Sie diese Exklusivgeschichte nicht gebracht?
Doch, selbstverständlich hätte ich die gebracht. Herr Ebert konnte ja auch nicht wissen, welche Folgen das haben würde. Ich kann ihm keinen Vorwurf machen. Aber ich hätte noch sechs Stunden gebraucht, um den Transfer über die Bühne bringen zu können. Und an diesem Beispiel sehen Sie, dass es gute Gründe gibt, solche Dinge so lange wie möglich intern zu halten.
Im Vorstand der AG liegt die Zuständigkeit für die Fans bei Herrn Lötzbeier. Eigentlich ist er nicht zu beneiden, hat er in diesem Bereich doch mit scheinbar unbelehrbaren Personen zu tun, die sich einfach nichts vordiktieren lassen wollen. Wobei er immerhin - meine ich zumindest - auch mit seinem Wert auf Kommunikation erreicht, dass die Fronten nicht so verhärten, sodass die "Problemanhänger" gar nicht mehr mit der AG reden wollen. Würde die Zuständigkeit für die Fans bei Ihnen liegen, würden Sie anders vorgehen?
Nein, wir sprechen hier auch alles ab. Ich bin nach wie vor Vorstand für die Richtlinienpolitik. Nur jeder hat sein Ressort. Dr. Pröckl macht die Finanzen, ich mache den Bereich Öffentlichkeitsarbeit, Marketing und Sport, und Klaus Lötzbeier macht das Nachwuchsleistungszentrum, den Fanbereich, die Fußballschule und die Traditionsmannschaft. Klaus Lötzbeier hat eine ganz andere Verankerung in der Fanszene als ich. Ich bin seit achteinhalb Jahren bei der Eintracht, Klaus ist seit Urzeiten bei der Eintracht. Er kennt die Entwicklungen und ist weitaus kompetenter. Aber heute Morgen in der Vorstandssitzung haben wir gemeinsam mit Philipp Reschke [Justitiar der Eintracht, Anm. d. Red.] anderthalb Stunden über Problematiken, Handlungsweisen und Handlungsmuster gesprochen. Da komme ich gar nicht umhin. Klaus Lötzbeier fährt nie mit zu Auswärtsspielen. Und wenn unsere Fans sich schlecht verhalten, dann muss ich ad hoc dazu Stellung nehmen, wenn ich dazu befragt werde. Insofern bin ich über alles informiert, was wir machen.
Sind Sie evtl. froh, nicht selbst diesen Aufgabenbereich im Vorstand zu haben?
Die Frage stellt sich doch nicht. Klaus Lötzbeier ist als Vorstandsmitglied vor drei Jahren dazu gekommen. Und ich weiche keiner Fragestellung in der Öffentlichkeit aus und lobe oder beklage Fanverhalten je nach Situation.
Aber ich könnte die Fanproblematik nicht an die Seite schieben. Was glauben Sie, was ich an Anfeindungen aus den Fankreisen über mich ergehen lassen müsste. Da wird nicht nur der Klaus angefeindet, da werde ich auch angefeindet.
Sie haben sich in Einzelfällen auch schon für Fans eingesetzt, wurden aber nach eigenen Worten enttäuscht, weil sich Sachlagen anders ergeben haben, als diese Ihnen dargestellt wurden. Wie denken Sie heute über die Fanszene? Ganz ehrlich bitte!
Die Fans bereiten Eintracht Frankfurt ganz außerordentlich große Probleme, das ist doch bekannt. Wenn junge Leute Plakate wie "Deutscher Randalemeister" oder "Bomben auf Dynamo" witzig oder ironisch finden, kann ich nur sagen, das schadet Eintracht Frankfurt ungemein. Unser Ruf ist schlichtweg nicht gut. Da können Sie sich außerhalb von Frankfurt erkundigen. Und das kann nicht im Interesse von Eintracht Frankfurt sein. Und ich werde den Teufel tun und verniedlichende Worte dafür finden. Eine Gruppe von Fans schadet Eintracht Frankfurt immens. Es muss uns gelingen, dass sich diese Gruppe nicht mehr für Fußball interessiert, sondern sich anderen Themen zuwendet. 95% unserer Fans sind vorbildlich.
Martin Kind von Hannover 96 hat gestern festgelegt, dass alle Strafen, die jetzt gezahlt werden müssen, auf die Jahreskarten der Fankurve umgelegt werden. Wir haben uns noch keine Meinung dazu gebildet, weil wir es erst heute Morgen gelesen haben.
"Fan geht vor" hat seit 20 Jahren den Anspruch, die aktuelle Lage der Eintracht kritisch, unabhängig, aber fair zu verfolgen. Das hilft den nicht optimal informierten Anhängern, sich ein Bild machen zu können. Das heißt aber auch, dass Sie bis zu zehnmal im Jahr einen Beitrag auf den Tisch bekommen, in dem die Situation hinterfragt wird. Dort wird Lob und Tadel verteilt und auch mal der Finger warnend vor Problemen erhoben. Nicht zu Ihrem Gefallen. Sie mögen nicht jedes Thema öffentlich diskutiert wissen, aber ist das - wenn Sie mal Ihre Position bei der Eintracht außen vornehmen - nicht eigentlich ein nachvollziehbares Begehren, gerade wenn man an manche Managementmissstände aus den vielen Jahren vor Ihnen denkt.
Das Problem ist, dass häufig Gegenstände zur Diskussion gemacht werden, die als solche gar nicht existieren. Das heißt, es wird von vornherein eine These aufgestellt, die oft nicht stimmt - und diese These wird dann diskutiert. Es ist schwierig, das mitzuverfolgen, ohne sich dazu zu äußern. Das erfordert ein hohes Maß an Disziplin. Das macht die Sache nicht einfacher, denn der Leser geht sicherlich davon aus, dass die Behauptung des Fragenstellers richtig ist. Vieles ist auch hypothetisch. Man wird beispielsweise dafür kritisiert, dass ich im August, September letzten Jahres den körperlichen Zustand der Mannschaft mal als nicht optimal angesehen habe. Dafür bin ich erheblichst kritisiert worden. Acht Monate später werde ich erheblichst dafür kritisiert, dass ich nicht frühzeitig eingegriffen habe, weil Skibbe angeblich nicht genug trainiert hat. Die Thesen prallen aufeinander. Was ist denn nun richtig? Richtig ist, dass im Fußball alles hypothetisch ist. Hätte man oder hätte man nicht... Das alles kann man im Nachhinein diskutieren. Aber diese Dinge sind oftmals nicht so einfach. Und so ist es manchmal verwunderlich, mit welcher Sicherheit hier argumentiert wird, was richtig und was falsch ist. Diese Sicherheit des Autoren hätte ich gerne bei meinen Entscheidungen. Der Unterschied ist, dass die Autoren in Ihrer Zeitung im Nachhinein die Dinge kommentieren können, und unsere Aufgabe ist es, im Vornhinein Entwicklungen zu sehen und zu bewerten.
Angenommen, Sie könnten wider unserer Regel der freien Meinungsäußerung und dem demokratischen Konsens über die zu behandelnden Themen, bestimmen, was in "Fan geht vor" geschrieben werden würde. Welche Aussagen würden Sie groß als dann Verantwortlicher der Zeitung herausstellen wollen und welche Themen wollten Sie ansonsten von "Fan geht vor" behandelt wissen?
Erst einmal finde ich es immer gut, wenn der Fußball im Vordergrund steht. Das ist hier ja weitestgehend der Fall. Das ist immer sehr gut. Und die aktuellen Interviews mit dem Manager, dem Trainer und den Spielern sind auch gut. Nur wenn Sie diese Hefte lesen, was Sie vor anderthalb Jahren geschrieben haben ... dann wird Ihnen auch die Spucke wegbleiben, oder sehe ich das falsch? In der Jahreshauptversammlung des e.V. vor einem Jahr hat Peter Michael Skibbe als den besten Trainer bezeichnet im Umgang mit dem Nachwuchs. Das haben wir alle so gesehen.
Wenn ich rückblickend in die Ausgaben der Rubrik "Eintracht aktuell" schaue, auf die Sie anspielen, stoße ich immer wieder auf den Begriff der "zementierten" Verhältnisse. Darüber bin ich auch überrascht, immer wieder auf diesen Begriff zu stoßen. Aber davon werden Sie wohl auch bei allen Medien verfolgt.
Natürlich, aber das ist ja auch nicht zu widerlegen. Auch wenn die Bundesliga im letzten Jahr mal verrückt gespielt hat, bildet sich doch jetzt schon wieder die Tendenz. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, oben werden Dortmund Leverkusen und Bayern landen.
Es muss jedem klar sein, dass die letzte Saison eine Ausreißer-Saison war.
Ich rede doch nur vom "Zementieren", weil ich die Erwartungshaltung rund um Frankfurt realistisch einschätzen will. Als Vertreter von Eintracht Frankfurt mit einem Lizenzspieleretat von 27,5 Millionen Euro, wenn wir keine Schulden machen und kein Eigenkapital abschmelzen. Damit komme ich normalerweise nicht in den Europapokal. Nur das wollte ich erklären und den Druck von der Mannschaft und dem Trainer nehmen. Ich habe mich dazu verpflichtet gefühlt und tue das auch immer noch. Und dann wird mir das als Arroganz oder sonst etwas ausgelegt. Was glauben Sie, wenn ich gesagt hätte, wir würden im nächsten Jahr den Europapokalplatz angreifen. Wenn ich bei entsprechendem Tabellenbild nicht selbst die Hoffnung gehabt hätte, dann hätten wir am Ende keine zusätzlichen 3 Millionen Euro für Gekas und Altintop ausgegeben. Das, was Hannover gelungen ist, das hatte ich doch für uns erhofft.
Wenn ich von "zementieren" spreche, dann ist es nicht so, dass ich die Bundesliga so einschätze, dass ich nicht das Ziel habe, besser zu werden. Wie kann man denn so naiv sein, und das jemanden unterstellen? Zumal ich ja auch - wenn ich mal kurz auf mich selbst zu sprechen kommen darf - weitaus mehr Gehalt beziehe, wenn ich einen guten statt eines schlechten Tabellenplatz belege. Wessen Reputation hat denn am meisten unter dem Abstieggelitten? Der Russ? Der Ochs? Der Altintop? Der Steinhöfer? Am meisten bin doch ich und kein anderer beschädigt worden. Von daher ist es absurd, immer wieder auf das "Zementieren" abzustellen. Schon vor meiner Zeit bei Eintracht Frankfurt war ich mit der Spreizung des Fernsehschlüssels nicht einverstanden und habe für Vereine wie Eintracht Frankfurt, Borussia Mönchengladbach, Hannover 96 und den 1. FC Köln darauf hingewiesen und bin dafür von Uli Hoeneß fürchterlichst verprügelt worden. Es ist ein Vorurteil, daraus zu machen, ich rede nur von Zement und hätte keine Phantasie nach oben. Meine Aufgabe war es, in diesem kritischen, euphorischen Umfeld auch mal die Realitäten aufzuzeigen.
Wie lenken Sie sich eigentlich von den Eintracht-Sorgen ab? Durch Joggen oder ist ein Ablenken nie richtig möglich?
Doch, das geht ganz gut. Ich interessiere mich selbst für Darmstadt 98, für Kickers Offenbach, jedes Fußballspiel, das ich sehe. Ich habe Fußball viel zu gerne, als dass ich die Probleme des Tagesgeschäfts höher bewerte. Ich habe vom fünften Lebensjahr an Fußball gespielt und wäre gerne Bundesligaspieler geworden, aber es hat nie gereicht. Fußball war immer mein absoluter Lebensinhalt. Wer Koch wird, der darf die Hitze der Küche nicht beklagen. Ich ärgere mich jeden Tag immens, trotzdem bin ich gerne Bestandteil der Bundesliga. Ich bin bei jedem vierten Länderspiel Delegationsmitglied. Dann ist das für drei Tage auch schön, wie die Siege mit der Eintracht. Die schönen Stunden überwiegen doch im Fußball. Ganz klar, sonst würden das doch alle nicht mitmachen. Das unterstelle ich sogar denen, die mir das Leben am allerschwersten machen, dass sie auch die Gemeinschaft suchen, weil sie dort mit dem Fußball schöne Stunden erleben. Und noch etwas: Probleme mit den Fans sind doch ein Kinderspiel im Vergleich zu den wirklichen Problemen unserer Gesellschaft wie Überalterung, Überschuldung und Arbeitslosigkeit.
Worüber konnten Sie zuletzt herzhaft lachen?
Als erstes freue ich mich, wenn ich sonntagabends "Dittsche" sehe. Über Henni Nachtsheim kann ich auch lachen, wenn er Hessisch babbelt. Er hat mit Charly Körbel einen Sketch zur Frauen-WM gemacht …
Wo er dann umschwenkt ...
… wo Charly Körbel kommt und er sofort umschwenkt. Die Mundart-Sketche von Henni finde ich gut. Harald Schmidt sehe ich gerne, aber dass ich bei ihm lache, passiert selten. Satire finde ich auch sehr interessant.
Können Sie Emotionen auch einfach herauslassen oder greifen da die Zigaretten immer vor?
Fragen Sie mal meine Mitarbeiter oder Ihre Journalistenkollegen, ich bin sehr emotional. Wenn ich aber als Vertreter von Eintracht Frankfurt auftrete, glaube ich schon, dass ich immer relativ kontrolliert wirke.
Gibt es etwas an Ihrem Bild in der Öffentlichkeit, das Sie lieber korrigiert hätten?
Im Ganzen bin ich sicher äußert gesellig. Ich liebe die totale Geselligkeit. Das Skatspielen einmal in der Woche am Abend ist für mich Entspannung, ebenso das Spielen in der Altherrenmannschaft. Aber deshalb wird mich nie jemand betrunken sehen. Als öffentliche Person muss man eine gewisse Kontrolle haben.
Dies war auch für Sie sicher ein Jahr von Schocks: z.B. der geplatzte Caio-Transfer nach Moskau, Verbandsärger durch undisziplinierte Fans und natürlich der Abstieg. Dazu scheinbar einiger Gegenwind in Teilen des Aufsichtsrats. Wenn man die Eintracht über Jahre Schritt für Schritt vorangebracht hat und plötzlich - eigentlich vollkommen "verschenkt" - in kurzer Zeit wieder so viel verliert, überlegt man dann auch, nach der "Wiederherstellung" des alten Status, der ja eigentlich nicht wieder so einfach erreichbar ist, den Kopf für eine neue Aufgabe frei zu bekommen, oder klappt man das Visier runter und will es allen nochmal zeigen?
Weder das eine, noch das andere. Natürlich bin auch ich eine kurze Zeit nach dem Abstieg wie paralysiert gewesen. Ich habe immer geglaubt, wir schaffen das. Das ging mir wie allen anderen Menschen auch. Dann habe ich aber sofort die Arbeit aufgenommen. Vier Tage nach dem Abstieg und der Gewissheit, dass der Aufsichtsrat von mir abverlangt, dass ich das Amt des Managers aufgebe, habe ich schon Gespräche mit drei Kandidaten für das Manageramt geführt. Wir haben dann im Vorstand die Entscheidung für Bruno Hübner getroffen und uns in die Arbeit gestürzt. Nach 22 Jahren Bundesliga kann man das nicht abstreifen - das bewegt mich auch heute noch. Die Aussagen, die man trifft, werden nach einem Abstieg viel kritischer hinterfragt. Es ist ja nicht so, dass man keinen Autoritätsverlust erlitten hätte. Das darf aber nicht dazu führen, dass man zögerlich oder unentschlossen wird. Das kann nur bedeuten, dass man weiterhin klare Entscheidungen trifft, sich gut auf Entscheidungen vorbereitet. Und wenn man dann der Meinung ist, das ist das Beste, dann muss man das mit der gleichen Vehemenz und der gleichen Durchsetzungskraft vortragen. Eine andere Alternative gibt es nicht im Fußball. Dass man davon tief getroffen ist, ist normal. Da wäre ich ja ein Übermensch, wenn ich das einfach hätte abstreifen können.
Herr Bruchhagen, vielen Dank für Ihre Zeit! zurück