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Ein Boykott, ein Runder Tisch

und was daraus entstehen kann

Nach wie vor beherrscht das Thema Stadionverbot die Fanszene

(sm) Rein ergebnistechnisch wandelt die Eintracht des Spätherbstes 2006 mal wieder zwischen den Extremen – zwei Siegen über Gladbach und Cottbus folgten zwei Niederlagen gegen Bielefeld und Bochum, um sodann mit deutlicher Leistungssteigerung zwei Unentschieden gegen Dortmund und Newcastle anzufügen. Immerhin sind damit alle sportlichen Zwischenziele noch mehr oder minder fest im Visier (in der Liga mindestens 20 Punkte zur Winterpause, Überwintern in UEFA- und DFB-Pokal).

 

Derweil sind weite Teile der Fanszene noch damit beschäftigt, die Wunden zu lecken, die die Ereignisse rund um den sog. „Halbzeit-Boykott“ anlässlich des Spiels gegen Bielefeld am 11. November hervorriefen. Auch „Fan geht vor“ widmet sich an dieser Stelle einer Aufarbeitung der Geschehnisse, insbesondere aber auch einem Ausblick in die nähere Zukunft.

 


„Was für ein Scheißtag!“ – so lautete in bemerkenswerter Einhelligkeit das Fazit fast aller Fans nach dem Spiel gegen Bielefeld am 11. November. Das Wetter war mies, die Eintracht verlor sang- und klanglos nach der mit Abstand schlechtesten Saisonleistung mit 0:3, ein Riss ging durch die Fanszene, die Stimmung war allenthalben äußerst gereizt. Es wurde viel gepfiffen, an jenem Nachmittag, gegen die Mannschaft, gegen die Fans; und jeder fand gute Gründe, auf das Verhalten der jeweils anderen richtig sauer zu sein.

 

Diejenigen, die auch zur ersten Halbzeit ins Stadion gekommen waren, bemühten sich zumindest anfangs um lautstarke Unterstützung. Diejenigen, die sich dem Boykott angeschlossen hatten und an den Treffpunkten – allen voran am Gleisdreieck – warteten, waren ob der anfangs lauten Anfeuerungsrufe, die aus dem Stadion drangen, leicht irritiert. Noch irritierter waren sie, als die Kunde vom 0:1 nach draußen drang und plötzlich laute Pfiffe zu hören waren, die sich offenkundig gegen die eigene Mannschaft richteten. Als die „Boykottler“ schließlich zur Halbzeit in den – nur zur Hälfte leer gebliebenen – Block 40 B drängten, kam es erneut zu Pfiffen und anschließend wechselseitigen Anfeindungen. Die zweite Halbzeit verlief ähnlich unerfreulich; wieder wurde zu Beginn lautstark supportet, was dann aber nach dem 0:2 auch nicht mehr so recht klappen wollte. Erst als nach dem dritten Gegentor viele Besucher das Stadion verließen, wurde von den ausharrenden Fans – demonstrativ – wieder laut gesungen und die Mannschaft gefeiert. Es war wirklich ein Scheißtag, in jeder Hinsicht...

 

Will man bewerten, was der Boykott erreicht hat, so wird man am ehesten in den Tagen vor dem Bielefeld-Spiel fündig. In der Presse wurde zumindest teilweise der Boykott und seine Hintergründe thematisiert; und auch die Fanszene diskutierte viel und kontrovers. Mit Sicherheit haben die Auseinandersetzungen um den Boykott sowohl innerhalb als auch außerhalb der Fans einige Leute für das Thema sensibilisiert. Der Boykott am Spieltag selbst aber verlief – im Sinne seiner Initiatoren – weniger erfolgreich. Das im Aufruf vorgegebene Ziel, möglichst den gesamten Block 40 B leer zu lassen, wurde deutlich verfehlt (frei blieb nur die untere Hälfte des Blocks, so dass der Boykott im Stadion rein optisch nicht allzu deutlich ins Auge sprang). Von den Medien wurde das Fernbleiben eines Teils der Fans fast vollständig ignoriert, so dass auch die Öffentlichkeitswirkung hinter den Erwartungen zurückblieb. Und, wenn auch die Stimmung natürlich nicht so laut war wie üblich (schließlich fehlte Martin Stein am Mikrofon und rund 1.500 bis 2.000 Kehlen), so war dennoch zumindest phasenweise eine starke Unterstützung von den Rängen vorhanden. Das 15-minütige Schweigen vor zwei Jahren in der Partie gegen Unterhaching (damals als Protest gegen die Stadionverbote aus Ahlen) hatte jedenfalls deutlich eindrucksvoller demonstriert, wie sich ein „Geisterspiel“ mit Publikum ohne Stimmung anfühlt.

 

Die Mängel des Boykotts

 

Rückblickend muss man sagen, dass der Boykott somit allenfalls mäßig erfolgreich war.

 

Die Idee eines Halbzeit-Boykotts war relativ spontan und kurzfristig geboren und umgesetzt worden. Im Grunde lag die Geburtsstunde dieser Aktion im Forum der offiziellen Eintracht-Homepage, in welchem einige der dort versammelten User ihrem Ärger über Polizeiwillkür (insbesondere bei Auswärtsfahrten) und Stadionverbotspraxis Luft machten. Irgendwann schlug irgendwer vor, zum Zeichen des Protestes bei einem der kommenden Spiele die erste Halbzeit draußen zu bleiben. Nachdem sich erstaunlich viele Forumsnutzer zu einem 45-minütigen Boykott bereit erklärt hatten, wurden die Ultras über das Forum aufgefordert, eine derartige Aktion zu diskutieren bzw. anzuleiern.

 

Die UF nahmen die Idee auf und riefen sodann zum „Halbzeitboykott“ beim Spiel gegen Bielefeld auf; das Fansprechergremium schloss sich wenig später diesem Aufruf an (vgl. die beiden Erklärungen der Ultras sowie des FSG, die an anderer Stelle dieser Fgv dokumentiert werden).

 

Schon diese Entstehungsgeschichte zeigt, woran die Aktion letztlich krankte: Sie war organisatorisch kaum vorbereitet und inhaltlich weitgehend konturenlos. Unklar blieb insbesondere, gegen wen sich der Boykott eigentlich richten soll und welche Forderungen an wen erhoben werden. Unbeantwortet blieb deshalb auch die Frage, ob und inwieweit hierfür der Boykott einer Halbzeit ein sinnvolles und geeignetes Mittel ist. Viele Fans meinten, dass man die Mannschaft nicht „bestrafen“ oder „im Stich lassen“ dürfe. Natürlich wurde auch von Seiten der „Boykotteure“ betont, dass sich die Aktion nicht gegen die Mannschaft richte.

 

Die inhaltliche Konturenlosigkeit wurde auch dadurch verstärkt, dass sowohl Ultras als auch FSG trotz ihren Aufrufen stets betonten, dass sie nicht die alleinigen Initiatoren und Urheber des Boykotts seien, sondern Idee und Wunsch einer solchen Aktion nur von „diversen Fans und Fanclubs“ an sie herangetragen worden seien. Damit lehnte man schließlich im Ergebnis zumindest die alleinige Verantwortung für den Inhalt des Protestes ab. Nun sind aber „diverse Fans und Fanclubs“ eine relativ undefinierbare Masse, und diese hat als solche keine Stimme und folgerichtig keine Möglichkeit, Ziele und Inhalt der Protestaktion zu definieren.

 

Und so konnte sich jeder „seinen“ Grund für den Boykott selbst zurechtlegen. So gab es Stimmen, die meinten, der Boykott richte sich generell gegen den wachsenden Kommerz und überhaupt den „modernen Fußball“. Andere fanden, er richte sich nur „gegen unberechtigte Stadionverbote“ (wie als Minimalkonsens auf Flugblättern stand). Die Nächsten hielten dagegen, dass sich der Protest grundsätzlich gegen (alle) Stadionverbote und Polizeiwillkür im Allgemeinen wende. Einige sahen durchaus auch und gerade die Eintracht Frankfurt Fußball AG als Ziel des Boykotts, weil diese sich nicht ausreichend für die Fankurve im Allgemeinen und speziell für die von einem Stadionverbot Betroffenen einsetze. Andere wiederum wollten einfach nur ihre Solidarität mit den Betroffenen der Stadionverbote ausdrücken.

 

Letztlich waren es wohl diese inhaltlichen Unklarheiten, die es vielen Fans unmöglich machten, sich am Boykott zu beteiligen. Insbesondere Leute, die sich zwar gegen unberechtigte oder unverhältnismäßige Stadionverbote engagieren würden, aber die Eintracht bzw. die AG insoweit nicht in der Kritik sehen, hatten mit dem Boykott Schwierigkeiten. Schließlich wird „normalerweise“ jeder Fanboykott in der Öffentlichkeit als Protest gegen den eigenen Verein wahrgenommen – und im Falle des Halbzeitboykotts gegen Bielefeld gab es auch keine verlässliche Stellungnahme der Initiatoren, die diese Interpretation ausgeschlossen hätte. Vielfach erschien der Boykott als „verlängerte Aktion“ des im vorvorherigen Heimspiels gegen Nürnberg gezeigten – sehr umstrittenen – Banners „vom Vorstand verraten...“. Es ist der Öffentlichkeit auch schwer klarzumachen, dass man sich aus Protest gegen die Vergabe von Stadionverboten durch den 1. FC Köln und Schalke 04 dazu entschließt, der ersten Hälfte des Spiels Eintracht – Bielefeld fernzubleiben. Das wird, so darf man ohne weiteres vermuten, die Verantwortlichen in Köln und Gelsenkirchen nicht sonderlich gejuckt haben.

 

Der „Runde Tisch“

 

Einen positiven Effekt hatte der Boykott allerdings doch: Eben weil das Ganze in so einem „Scheißtag“ mündete und niemand mit der entstandenen Situation glücklich sein konnte, wuchs bei allen Beteiligten das Bedürfnis nach einer Aussprache und Klärung – und einem in Zukunft möglicherweise gemeinsamen, inhaltlich abgesprochenen und koordinierten Vorgehen. So wurde der sog. „Runde Tisch“ zur Stadionverbotsproblematik einberufen – und alle relevanten Fangruppen bzw. –institutionen (FuFA, FSG, UF, Fanprojekt, eintrachtfans.tv, Radio Fanomania, Fan geht vor, einzelne Fanclubs usw.) kamen.

 

Die Aussprache verlief zwar teilweise sehr emotional (damit war ja auch zu rechnen gewesen), ging aber nie über die Grenze einer noch konstruktiven Diskussion hinaus. Der beste Beweis dafür ist, dass der „Runde Tisch“ nicht nur bei einer Aussprache über die Vergangenheit (den Boykott gegen Bielefeld und/oder die Vorkommnisse in Schalke etc.) blieb, sondern ein gemeinsames Vorgehen für die Zukunft vereinbarte.

 

Denn letztlich stimmen alle darin überein, dass die derzeitige Praxis der Vergabe von Stadionverboten untragbar und inakzeptabel ist. Und darin, dass dringend eine Änderung der Stadionverbots-Richtlinien erreicht werden muss.

 

Dies wird allerdings – auch darin stimmen alle überein – ein äußerst schwieriges Unterfangen. Die Stadionverbots-Richtlinien werden nicht von den Vereinen erarbeitet oder verabschiedet. Letztlich haben die Vereine noch nicht einmal ein Mitsprache- oder Mitbestimmungsrecht über den Inhalt der Richtlinien. Die Stadionverbots-Richtlinien werden den Vereinen vielmehr vom DFB „vorgesetzt“ – so wie andere von ihnen zu beachtende Vorschriften auch (z.B. welche Anforderungen ein für die Lizenzligen zugelassenes Stadion erfüllen muss, oder wie der Sicherheitsdienst organisiert sein muss usw.).

 

Nach der Satzung des DFB ist für den Erlass der Stadionverbots-Richtlinien innerhalb des DFB der sog. „Ausschuss für Sicherheitsfragen“ zuständig. Es handelt sich dabei um jene Kommission, die bspw. auch im Rahmen des Lizenzierungsverfahrens die Erfüllung der Sicherheitsanforderungen der Stadien prüft und bescheinigt. Bei allen Stadionneubauten wird dieser Ausschuss hinzugezogen, um die entsprechenden Sicherheitsauflagen zu beschließen und zu überwachen.

 

Die Mitglieder des Ausschusses werden nicht von den Vereinen gewählt oder bestimmt, sondern vom Präsidium des DFB. In der DFB-Satzung ist ferner geregelt, dass diese Ausschussmitglieder keine Vereinsvertreter sein sollen, sondern nach ihrer Sachkompetenz für die jeweiligen Aufgaben auszuwählen sind. Es soll sich sozusagen um „unabhängige Experten“ handeln.

 

Dementsprechend ist der Ausschuss auch zusammengesetzt. Die meisten der etwa 15 Mitglieder des Ausschusses sind im Zivilberuf Polizeibeamte. Dem Ausschuss gehören u.a. Helmut Spahn (Polizeibeamter, bis vor kurzem Sicherheitschef für die WM 2006 und nunmehr hauptamtlicher Sicherheitsbeauftragter des DFB) oder Heinrich Bernhardt (Polizeipräsident von Südosthessen, in der Vergangenheit auch einmal polizeilicher Einsatzleiter im Waldstadion etc.) oder Dieter Rieck (Polizeibeamter aus Berlin, Leiter der Landes-Informationsstelle Sporteinsätze [LIS] Berlin) und Bernd Borgmann (Polizeibeamter, Sicherheitsbeauftragter der Regionalliga Nord) und Friedel Läpple (Sicherheitsbeauftragter der Regionalliga Süd, ehemaliger Innenminister – und somit oberster Polizeichef – des Saarlandes) an.

 

Wer ernsthaft das Ziel einer Änderung der Stadionverbots-Richtlinien verfolgen und erreichen will, muss an diese Leute herankommen. Hieran wird deutlich, dass es kaum damit getan sein kann, ein – wenn auch gutes und überzeugendes – Papier Herrn Bruchhagen in die Hand zu drücken, auf dass er sich innerhalb der DFL dafür einsetze. Abgesehen davon, dass die DFL gar nicht zuständig ist, muss und wird ein solches Papier zwangsläufig in den Mühlen der DFB-Bürokratie versanden. Dass sich der „Ausschuss für Sicherheitsfragen“ ernsthaft damit auseinandersetzt, nur weil ein Vereinsvertreter ein von Fans erarbeitetes Konzept eingereicht hat, kann getrost als ausgeschlossen gelten.

 

Der „Runde Tisch“ hat gleichwohl beschlossen, das Unmögliche zu versuchen. Klar ist dabei, dass jede Initiative nur dann wenigstens eine Minimalchance auf Verwirklichung hat, wenn sie nicht nur von einem Verein und/oder nicht nur von den Fans stammt, sondern möglichst viele Lizenzvereine dahinterstehen und innerhalb des DFB/der DFL signalisieren, dass es so nicht weitergehen kann.

 

Zunächst soll daher versucht werden, ein möglichst „seriöses“ und mehrheitsfähiges Konzept von Vorschlägen zur Überarbeitung der Stadionverbots-Richtlinien zu erstellen. Hierzu hat sich eine Arbeitsgruppe gebildet, die bald erste Ergebnisse vorlegen wird. Sodann werden nicht nur wir versuchen, mit unserem AG-Vorstand über das erarbeitete Konzept zu diskutieren und ihn nach Möglichkeit davon zu überzeugen. Das erarbeitete Konzept soll vielmehr auch über alle möglichen Kanäle und Verbindungen an die anderen Fanszenen in Deutschland weitergeleitet werden, auf dass auch diese mit ihren jeweiligen Vorständen/Präsidien darüber diskutieren. Wir haben die Hoffnung, dass sich zumindest eine stärkere Fraktion von Vereinen mit organisierter Fanszene (Dortmund? HSV? Frankfurt?) zu einer vom DFB-Ausschuss für Sicherheitsfragen nicht mehr zu überhörenden Stimme zusammenfinden.

 

Wohlweislich: Es ist ein mehr als schwieriges Unterfangen, auf das wir uns einlassen wollen. Aber letztlich gibt es wohl kaum eine Alternative, wenn man wirklich Veränderungen erreichen will. Die Zukunft jedenfalls wird zeigen, ob und welche Verbesserungen wir erreichen können. Eintracht Frankfurt steht da sozusagen in einer guten Tradition: Als 1993 die Profivereine grundsätzlich darüber abgestimmt haben, ob das von der damaligen Arbeitsgruppe „Nationales Konzept Stadion und Sicherheit“ (NKSS) erarbeitete Regelungskonzept für bundesweite Stadionverbote eingeführt werden soll, stimmten alle Vereine zu – mit zwei Ausnahmen: Zum einen der FC St. Pauli (der insbesondere zu jener Zeit ohnehin ein sehr enges Verhältnis zu seinen Fans hatte, Stichwort „Hafenstraße“), und zum anderen: Eintracht Frankfurt.

 

Auf gewisse Traditionen kann man auch heute ruhig noch ein bisschen stolz sein...

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