Sie kommen nun also wirklich, die Geisterspiele einer Bundesliga, die mit den ersten Corona-bedingten Einschränkungen des Spielbetriebs den finanziellen Existenzkampf ausgerufen hat. Das breite Echo an berechtigter Kritik zeigt, dass sich das Milliardengeschäft Bundesliga nicht nur von uns Fußballromantikern und -idealisten, sondern auch von weiten Teilen der Gesellschaft abgekoppelt hat. Der Drang der Vereine und demnach auch der DFL nach einer Fortsetzung der Bundesliga ist aus ihrer Sicht nachvollziehbar. Ob wir es gut finden, steht dagegen auf einem anderen Blatt Papier.
Was jedoch absolut befremdlich ist, sind die Vorstöße, die eine Abschaffung der 50+1-Regel fordern. Mit diesem durchschaubaren Manöver wird versucht, die turbulente Corona-Zeit zu nutzen, um das europaweit beachtete Alleinstellungsmerkmal der Bundesliga zu vernichten und die eigene Agenda voranzutreiben. Jeder reflektierende und kritische Mensch kann erkennen, dass das "System Fußball" krank ist. Eine unregulierte Öffnung für Investoren macht den Fußball aber zweifellos noch kränker, lässt einen abschließenden Verlust jeglicher Bodenhaftung erwarten und würde den bereits immer deutlicheren Auswüchsen von Spekulation und Korruption weiteren Nährboden geben.
Der heutige Fußball ist zu einem Spekulationsobjekt und einer reinen Geldmaschinerie verkommen. Es lag nie offener auf der Hand, dass es an der Zeit ist, einen Schritt zurück zu gehen. Wir brauchen endlich wirksame Regeln, welche den Fußball zurück zu den Menschen bringen, die ihn lieben und ihn überhaupt erst so populär gemacht haben. Denn in den vergangenen Wochen haben wir alle erlebt, wie kalt man agiert und wie fremd der Fußball uns geworden ist.
Ohne uns, die Fankurven, die Zuschauer im Stadion, die alle Spiele zu dem machen, was sie sind, steht der Fußball ziemlich nackt da. Das zeigten die ersten Geisterspiele bereits deutlich. In den spielfreien Wochen wurde, da es eben auch keine sportlichen Themen gab, nichts als der ungefilterte Blick auf die Geschäftswelt im Fußball frei. Für viele Fans war das, was sie sahen, teils sehr traurig und ernüchternd.
Zu fordern, dass sich dieses System nun noch kränker machen soll, in dem es die letzte Regel abschafft, die es noch einigermaßen am Boden hält, ist blanker Hohn. Es ist nichts anderes notwendig als eine komplette Neuausrichtung des Profifußballs.
Nie war es offensichtlicher, dass wir ein - bestenfalls europaweites - System brauchen, das all diese Auswüchse verhindert. Eine Öffnung für Investoren bringt meist nur ungesundes Wachstum, einen finanziellen Überbietungswettbewerb und birgt immense Abhängigkeitsrisiken gegenüber den Geldgebern. Aber insbesondere wird der sportlich faire Wettkampf torpediert.
Die Bundesliga sollte sich auf ihre ureigensten Stärken konzentrieren und diese konsequent ausbauen. Das ist insbesondere eine im internationalen Vergleich noch einigermaßen basisorientierte Ausrichtung, mit bezahlbaren Ticketpreisen, vollen Stadien und einer lebendigen Fankultur. Dafür wird sie weltweit beneidet. Stattdessen wird immer wieder die Lüge verbreitet, dass eine Öffnung des deutschen Fußballs für Investoren die finanzielle Lücke nach England schließen würde. Diese Lücke könnte vielleicht ein wenig verringert, niemals jedoch geschlossen werden, und selbst das nur auf Kosten unserer Fußballkultur. Dieses Märchen muss der deutsche Fußball endlich als Trugbild enttarnen und sich mit aller Macht dafür einsetzen, dass ein System mit einem fairen sportlichen Wettbewerb geschaffen wird. Man wird die lange enteilte Premier League nicht erreichen, indem man ihre schlechtesten Machenschaften zu kopieren versucht, sondern indem man mit aller Macht versucht, diese Auswüchse einzufangen. Nie war das Bewusstsein der Menschen europaweit größer als dieser Tage, dass im Fußballsystem etwas Grundlegendes nicht stimmt.
Andernfalls werden die Probleme, die die jetzige Krise offenbart hat, bloß verschlimmert. Denn folgende Entwicklung ist beim primär geldgetriebenen Fußball ohne 50+1 zu beobachten: Vereine, die nur so viel ausgeben, wie sie auch einnehmen, und ihre Gewinne fair erwirtschaften, werden zu immer mehr Risiko und immer waghalsigeren Finanzierungsmodellen genötigt, um sportlich mithalten zu können. Dies führt dazu, dass die Vereine permanent an ihren finanziellen Grenzen arbeiten, sich verschulden und dann binnen weniger Wochen vor dem Ruin stehen können. Aus diesem systembedingten Dilemma müssen wir unseren Sport befreien. Sonst können die Vereine auch nur schwerlich ihrer gesellschaftlichen Bedeutung gerecht werden und ihrer sozialen Verantwortung nachkommen, wie etwa sozialverträgliche Ticketpreise anzubieten und soziale Projekte aus der Region zu unterstützen. Die vielerorts besondere Rolle der Vereine für den Zusammenhalt der Menschen in ihrer Heimatregion ist somit gefährdet. Und schließlich leidet auch die Sicherheit der Arbeitsplätze, die in und um den Fußball herum bestehen, sehr unter dem durch Wettbewerbsverzerrung bedingten finanziellen Druck der Vereine.
Daher stellen wir in Anbetracht dieser Fehlentwicklungen die nachstehenden Forderungen. Wir fordern speziell Eintracht Frankfurt (AG und Verein) dazu auf, diese in allen Gremien und Arbeitsgruppen einzubringen und zu diskutieren, um sie anschließend in der DFL voranzutreiben.
Wir können die Forderungen nur grob skizzieren, da wir keinen Einblick in die Interna der Fußballunternehmen haben. Vielleicht wirken manche der Vorschläge weltfremd. Aber wenn sie damit einer Welt fremd sind, in der das gesamte Fußballsystem wegen ein paar Wochen spielfreier Zeit zusammenzubrechen droht, dann scheinen sie nicht komplett falsch zu sein.
Forderungskatalog:
1. Festlegung einer verpflichtenden minimalen Eigenkapitalquote, maximalen Verschuldungsquote sowie verpflichtenden Liquiditätsreserve, zum Schutz des Gesamtbetriebs sowie der Mitarbeiter. Detailliertere Regeln müssen hier von den Vereinen ausgearbeitet werden, da Verschuldungen gegenüber eines Investors anders zu bewerten sind als beispielsweise ein Bankkredit zum Bau einer neuen Geschäftsstelle, wie er aktuell bei unserem Verein erfolgt.
2. Jährliche Festlegung eines Werts der "Basiseinnahmen" eines jeden Vereins als Referenzgröße. Zu diesen originären Einnahmen aus dem Tagesgeschäft zählen:
a. Zuschauereinnahmen
b. Merchandise-Einnahmen
c. Sponsoreneinnahmen (nach Definition im Punkt 3)
d. TV-Gelder aus den Ausschüttungen der nationalen und internationalen Wettbewerbe.
e. Transferüberschüsse
3. Als Sponsoreneinnahmen dürfen nur Zahlungen gelten, die in einem angemessenen Verhältnis zum Marktwert des Vereins auf dem Grundsatz "Leistung und Gegenleistung" fließen. Wie dieser Marktwert zu ermitteln ist, müssen einzig die basisgeführten Vereine ausarbeiten, da diese Regelung erwartbar gegen die Interessen der "Scheinvereine" entwickelt werden muss. Weitere strukturelle Wettbewerbsverzerrungen zugunsten dieser "Vereine", welche die 50+1-Regel umgehen, müssen entschieden verhindert werden.
4. Wir fordern eine Höchstgrenze, die ein Verein für Spielergehälter ausgeben darf.
Diese ist als Prozentsatz an den originären Einnahmen (siehe Punkt 2) des aktuellen Jahres und der Vorjahre zu definieren.
5. Wir fordern eine Höchstgrenze, die ein Verein für Berater ausgeben darf.
Diese ist als Prozentsatz an den originären Einnahmen (siehe Punkt 2) des aktuellen Jahres und der Vorjahre zu definieren.
6. Wir fordern eine Höchstgrenze, die ein Verein für Spielertransfers ausgeben darf.
Diese ist als Prozentsatz an den originären Einnahmen (siehe Punkt 2) des aktuellen Jahres und der Vorjahre zu definieren. Transfers zwischen wirtschaftlich verbundenen Vereinen müssen begrenzt werden und können in keinem Fall positive finanzielle Effekte bewirken.
7. Vollständige Rückkehr zur 50+1-Regel, ohne jegliche Ausnahmen. Vereine, die diese Regel derzeit umgehen oder eine Ausnahmeregelung haben, müssen innerhalb einer festgelegten Zeit die entsprechenden Strukturen schaffen. Daran gekoppelt sein muss ein offenes Mitgliedersystem der jeweiligen Basisvereine für voll stimmberechtigte Mitglieder. Der Mitgliedsbeitrag für ein stimmberechtigtes Mitglied darf den durchschnittlichen Mitgliedsbeitrag der anderen Bundesligisten nur um einen bestimmten Prozentsatz überschreiten.
8. Anteilsverkäufe an ausgelagerten Kapitalgesellschaften, die für den Bundesliga-Spielbetrieb verantwortlich sind, dürfen nur nach Zustimmung durch die Mitgliedschaft des Basisvereins erfolgen.
9. Das Verleihen von Spielern in größerem Umfang muss weiter begrenzt werden, so dass Vereine nicht Dutzende Spieler verleihen und als reine "Handelsware" betrachten.
10. Strenge Regulierung des Transfermarkts minderjähriger Spieler, so dass auch diese zu keiner "Handelsware" verkommen. Speziell dem Abwerben minderjähriger Spieler aus den Nachwuchsleistungszentren müssen klare Grenzen gesetzt werden.
11. Konsequente und transparente Ahndung von Verstößen gegen diese Regeln. Werden Regeln gebrochen oder offensichtlich umgangen, muss eine konsequente Sanktionierung folgen, auch gegen die "größten" Vereine eines Wettbewerbs. Es muss endlich ein wirksames "Financial Fairplay" her!
Keine dieser Forderungen beeinträchtigt die Regeln des "freien Marktes". Wenn ein Verein so wirtschaftet, dass er einen Spieler für 200 Millionen Euro verpflichten kann, steht dem nichts entgegen. Von europaweit festen Regeln, welche die Geldflüsse am originären Geschäft orientieren, können alle Seiten nur profitieren. Es geht darum, einen fairen und unverzerrten Wettbewerb zu schaffen, in dem man sich durch gute Arbeit im Kerngeschäft und nicht durch externe Finanzspritzen nach oben arbeiten kann. Ziel ist ein Wettbewerb auf Augenhöhe, den es seit Jahren in der Bundesliga nicht mehr gibt. Vielmehr erleben wir einen nahezu vorhersehbaren Saisonverlauf und einen in hohem Maße planbaren sportlichen Erfolg durch ungleiche finanzielle Möglichkeiten.
Damit unser aller Fußball in der bekannten Form erhalten bleibt, muss sich nach der Corona-Pandemie etwas grundlegend ändern. Der Fußball braucht Taten und keine Lippenbekenntnisse - oder wir werden rückblickend nur einen kurzen Anflug von Demut im Fußballgeschäft erlebt haben! Vieles aus der Scheinwelt des Fußballgeschäfts stand in den letzten Wochen entblößt vor den Menschen, viele Menschen hat das enttäuscht und schockiert. Nun heißt es für die Vereine und die DFL anzupacken, um endlich wieder zu einem sportlichen Wettbewerb zurückzufinden, der nicht ausschließlich finanzielle Interessen verfolgt. Ein solcher Fußball könnte Millionen von enttäuschten und desillusionierten Fußballfans wieder mit ihrem Sport versöhnen.
Der Nordwestkurve-Rat
Frankfurt am Main, 13. Mai 2020
News
Aus der Corona-Krise lernen: Wir brauchen ein neues Fußballsystem! |
14.05.2020 um 23:37 |
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Mittwoch, den 13. Mai 2020 um 18:09 Uhr | | | |