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Armin Veh: Nicht zum Aufstieg "verdammt"! |
(jh) Das für die erste Ausgabe der Saison vorgesehene Interview mit dem neuen Cheftrainer musste im Sommer kurzfristig verlegt werden. Zwischen dem Sieg gegen Hansa Rostock und dem Spiel bei Dynamo Dresden hatten wir die Gelegenheit, unser traditionelles "Antrittsinterview" mit Armin Veh, das sich von den Themen und den Antworten als sehr interessant erweisen sollte, durchzuführen. Am Ende des Gesprächs erhielt er das Versprechen, beim nächsten Interview auch ein paar lustige Fragen gestellt zu bekommen, so schwer war die Kost, die er von uns serviert bekam - und diese begann mit einer Bitte:
Das kann ich Ihnen nicht versprechen! (lacht)
Ich möchte Sie zuallererst mit zwei prompten Fanreaktionen von einer Mailingliste auf Ihre Verpflichtung hin konfrontieren: 1. "Langweiler statt Aufbruchstimmung - bin total frustriert" 2. "Ich hatte Hoffnung, dass ein junger hungriger und ambitionierter Trainer zu uns kommt, der neue Ideen und frischen Wind in den Laden bringt. Es bleibt bieder und altbacken." Was halten Sie dagegen?
Heutzutage hat jeder das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Ich muss gegen solche Aussagen nichts dagegen halten.
Sie haben bei Ihrer Vorstellung einen optimistischen Ausblick gegeben, auch weil Sie sich im Gegensatz zu Ihren Tätigkeiten in Wolfsburg und Hamburg voll auf die Aufgabe des Trainers konzentrieren könnten und nicht in die Mühlsteine von Vorständen und Sportdirektoren geraten würden. Was macht Sie so sicher?
Gar nichts... (lacht) Entscheidend ist, dass man sich vor der Saison den Kader anschaut und überlegt, welche Möglichkeiten man hat. Man weiß aber erst, wenn man die Mannschaft ein paar Monate beobachtet hat, ob das wirklich so ist und so eintreffen kann, wie es einem vorgegeben wurde. Ich hätte Eintracht Frankfurt in der 1. Liga nicht übernommen, muss ich ehrlich sagen. Aber der Reiz, aufzusteigen und neue Euphorie zu entfachen, ist für mich wesentlich größer, als um den 10. oder 11. Platz zu spielen.
Die Möglichkeit der Teamarbeit mit Heribert Bruchhagen und Bruno Hübner hat Sie nach Frankfurt gelockt, Freude bei der Arbeit zu haben. Macht es Spaß?
Das stimmt. Ich habe nach 21 Jahren Trainertätigkeit Erfahrung, was das anbelangt. Von daher weiß ich, dass es heutzutage nur im Team und nicht um Alleinunterhaltung geht. Das Wichtigste ist, dass die Mannschaft Leute um sich hat, die etwas von ihrem Job verstehen. Das war mir wichtig, deshalb waren die Beiden ausschlaggebend.
Kann der Spaß schnell an Grenzen stoßen? Wenn Bruno Hübner Transfererlöse generieren soll und Ihnen vermeintlich wichtige Spieler entzogen werden?
Natürlich, ich kann immer nur aus meiner Sicht die Notwendigkeit, die ich sehe, im Rahmen der Möglichkeiten durchsetzen. Auch wenn man manchmal in der Branche meint, dass Trainer Zauberer sind - das sind sie nicht. Sie müssen ein gewisses Konzept haben, wissen, worüber sie reden, sie müssen die Liga einigermaßen kennen. Dementsprechend müssen sie ein paar Dinge durchsetzen. Sie können nicht Leute entscheiden lassen, die von dem Job keine Ahnung haben. Das ist immer schwierig. Einerseits steht die wirtschaftliche Notwendigkeit da, anderseits gibt es die sportliche Notwendigkeit, den Kader richtig zu bewerten. Da muss man sich dann einen Kompromiss finden und auch mal in den sauren Apfel beißen, beispielsweise einen Marco Russ abgeben. Wenn die Notwendigkeit da ist, Geld einzunehmen, kommt man daran nicht vorbei. Andererseits muss die Mannschaft auch noch die Möglichkeit haben, ihre Ziele zu erreichen.
Können wir uns darauf verlassen, dass ein Sebastian Jung auch in der Rückrunde noch für die Eintracht spielt?
Sebastian Jung hat bis 2014 einen Vertrag bei Eintracht Frankfurt, natürlich wollen wir, dass er bleibt, würde er gehen, wäre es das schlechteste Zeichen, das Eintracht Frankfurt geben könnte...
Was bei der AG noch gar nicht richtig gesehen wird, ist, dass die Leute auf den Rängen den Abstieg noch nicht verarbeitet haben. Vor allem fehlt die Aufklärung über die Gründe durch die AG, ein Notstand, der durch die Gewalt-Diskussion überlagert wurde. Nun hat die AG sicher Gründe, nicht für öffentliche Aufklärung zu sorgen, z.B. um Ärger mit noch angestelltem Personal, aber auch Gremien zu vermeiden. Aber wie kann der Anhang sicher sein, dass die Verantwortlichen die Probleme der alten Saison bei den Hörner gepackt haben und Konsequenzen gezogen haben?
Man kann sich nie endgültig sicher sein, weil man nie genau weiß, ob das was man macht, genau das Richtige ist Das ist überall so. Man hat ja auch immer Konkurrenz - und die kann auch gut arbeiten. Im Sport kann man nie endgültig sagen, dass es so kommt, wie man es vorhat. Man muss versuchen, professionell zu arbeiten, das Beste draus zu machen. Im Fußball gibt es auch Dinge, die man nicht beeinflussen kann. Im Sport gibt es Zufälligkeiten, die eine Rolle spielen.
Was die Aufarbeitung der letzten Saison anbelangt, kann ich Ihnen nicht sagen, ob das eine Sache der Öffentlichkeit ist oder nicht.
Das ist eben etwas, das man als Fan auch mitschleppt und was sich indirekt auch in Pfiffen ausdrückt, die derzeit viel schneller - im Gegensatz zu vorher - zu hören sind.
Man kann es nie jedem recht machen - und das ist auch nicht meine Aufgabe. Was mich unheimlich freut, dass wir hier in Frankfurt - und das bekomme ich seit drei Monaten mit - eine unheimliche Fußballbegeisterung haben. Wenn um 18 Uhr abends, wo andere noch arbeiten, gegen Hansa Rostock 40.000 Zuschauer ins Stadion kommen, dann ist das etwas, wofür es sich lohnt, hier zu sein und ein Ziel zu haben und dieses Ziel zu erreichen. Am Ende der Saison können sich unsere Fans dann wieder darüber freuen, in die erste Bundesliga aufzusteigen.
Nehmen wir das relativ positive Spiel gegen Hansa Rostock mal außen vor. Bruno Hübner hat die Neuzugänge mit den guten Aussichten nach dem Wiederaufstieg in der 1. Liga nach Frankfurt gelockt. Scheint die Mannschaft zu vergessen, dass man sich dafür ein Jahr Spiel für Spiel richtig reinhängen muss? Denn diesen bedingungslosen Einsatz, richtig zu laufen, haben wir sonst relativ wenig gesehen.
Wenn du einen Mannschaftssport hast, hast du immer Gegner. Der Gegner will immer das, was du auch willst, viel laufen, viele Zweikämpfe gewinnen, dominant sein und das Spiel gewinnen. Eines kann ich meiner Mannschaft sicher nicht absprechen, dass sie sehr, sehr willig ist. Dass es immer wieder Situationen gibt, mit denen ich nicht zufrieden bin, wo ich der Meinung bin, dass man mehr machen muss, ist im normalen Leben auch so. Auch im Privatleben oder im Berufsalltag ist man nicht jeden Tag gleich gut. Wir müssen immer darauf hinarbeiten, immer das Beste zu geben. Wenn es heisst "Wir wollen Euch kämpfen sehen"... - wenn das immer so einfach wäre, dass man gewinnt, sobald man kämpft. Fleiß kann ich meiner Mannschaft nicht absprechen, ich sehe die Spieler jedenTag im Training.
Die Eintracht ist zum Aufstieg verdammt. Alles andere als ein sicherer 2. Platz - das sind so 66 bis 68 Punkte - bringt Unruhe, wenn nicht sogar ein noch böseres Erwachen. Aber von einem Selbstläufer können wir nicht ausgehen. Welche Hoffnung können Sie uns geben?
Das Wort "verdammt" ist so nicht richtig - die Eintracht ist nicht "verdammt" dazu. Das Wort gehört nicht in den Sport. Versprechen kann ich nur, dass wir alle versuchen, unser Ziel zu erreichen. Ich kann keinen 1., 2. oder 3. Platz versprechen, wir haben 17 Gegner, die genau dasselbe wollen wie wir, am Ende des Spiels drei Punkte mit nach Hause nehmen und außerdem sollte man im Leben ein bisschen Demut zeigen.
Ein Grund für zu schnelle Pfiffen scheint zu sein, dass sich das Publikum nicht so sehr mit den Spielern identifiziert. Statt jungen Spielern aus der Region und langjährigen Stammkräften ist - ähnlich dem [jetzt kommt eine "böse Stadt"] Wolfsburg-Modell - eine neue Mannschaft zusammen gekauft worden, dazu scheinbar "abgelegtes Personal" aus anderen zuletzt gescheiterten Klubs. Ist dieses "Modell, nur ohne Magath, aber mit Meistertrainer", um einen Kollegen zu zitieren, der erfolgversprechendste und damit unumgänglich notwendige Weg?
Ich kann mit dieser Aussage nicht einmal sekundär identifizieren. Dass wir nach dem Abstieg in ganz kurzer Zeit eine neue Mannschaft zusammenstellen mussten war eine große Herausforderung. Dementsprechend eine Mannschaft zusammen zu bekommen, die die Möglichkeit hat, aufzusteigen - mit einem anderen Budget, als es normalerweise der Fall ist -, ist eine ganz schwierige Aufgabe. Bruno Hübner hat gute Arbeit geleistet, was das angelangt. Das hat mit dem Wolfsburger Modell nicht einmal ansatzweise etwas zu tun.
"Spieler aus der Region" - das habe ich schon gehört, als ich noch ein kleiner Junge war. Es wäre natürlich das Schönste, wenn alle Spieler einer Profimannschaft aus der eigenen Jugend herauskämen. Da würde ich mich sehr freuen. Die Mannschaft, mit der ich Deutscher Meister geworden bin, war die jüngste Mannschaft, die ich gehabt habe. So eine Mannschaft muss aber auch erst einmal vorhanden sein, denn sich mit der eigenen Jugend im Profifußball durchzusetzen ist ein Wunschtraum, der leider nicht realisierbar ist.
Und Wolfsburg ist mit einem externen Geldgeber im Gegensatz zur selbst wirtschaftenden Eintracht ja ein ganz anderes Modell...
Ja, der Vergleich ist sensationell.
Sie haben kürzlich klargemacht: "Das, was von uns erwartet wird ist nicht zu leisten. Einen Durchmarsch durch die zweite Liga ist nicht zu leisten... Das ist ein langer Weg." Sie würden ruhig bleiben. Jetzt haben wir aber diesen Abstieg gehabt. Das Publikum scheint aber nach den letzten neun Monaten - im Gegensatz zu früher - nicht mehr in der Lage zu sein, sich zusammen zu reißen, auch wenn wir jetzt ein Erfolgserlebnis gegen Rostock hatten. Der Frust und neue Enttäuschung sowie der zweifelnde Glaube an die Umsetzung des wichtigen sofortigen Wiederaufstiegs stehen einer Ruhe im Weg. Die Leute sind unruhig. Mal ganz davon abgesehen, dass wir beim emotionalen Sport sind, das ist ja Fußball, wie soll der Spagat aussehen, das hinzubekommen? Eigentlich geht es doch nur über sportlichen Erfolg, … oder?
Indem die Mannschaft zeigt, dass sie alles versucht und das Beste daraus macht. Durch den enormen Druck haben wir auch immer wieder schwächere Spiele, das wir auch immer wieder mal so sein. In solchen Situationen braucht man einen langen Atem, aber keine Unruhe, denn Unruhe ist ein schlechter Wegbereiter.
Ich lasse mir das Publikum aber auch nicht schlecht machen, ich war schon in ein paar Vereinen tätig, ich habe ausreichend Erfahrung. Auch wenn der ein oder andere mal pfeift, ich finde das Publikum hier richtig gut. Natürlich wird man unruhig, wenn man abgestiegen ist, weil man ein negatives Erlebnis gehabt hat.
Ich sehe das große Interesse an diesem Verein, und das ist positiv. Man sollte im Leben auch etwas Spaß und Freude haben.
Eine Frage, die wir auch Friedhelm Funkel und Michael Skibbe zu ihrem Antritt gestellt haben: Die Spieler behaupten immer wieder, die Trainer würden nicht mit ihnen reden [Hr. Veh lacht leise] - dadurch kommt es zu viel Unruhe. Friedhelm Funkel hat erklärt, Kommunikation sei wichtig, aber er konzentriere sich auf die Führungsspieler. Und die anderen Spieler seien dann die Sache des Co-Trainers. Michael Skibbe meinte, er rede eher mit den Spielern, die gerade nicht in der Mannschaft sind und bezeichnete sich als kommunikativen Trainer. Aber letztlich haben die Spieler zu allen drei zuletzt länger beschäftigten Trainern (Reimann, Funkel, Skibbe) den Vorwurf geäußert, sie hätten nicht mit ihnen gesprochen.
Das ist sehr oft so. Der Kader ist groß, der Trainer kann nicht jeden Tag mit jedem Spieler sprechen. Wichtig ist, denke ich, dass man versucht, mit allen Spielern zu sprechen. Das Team ist jeden Tag zusammen, da spricht man ja auch viel miteinander. Der eine Spieler benötigt mehrere Gespräche, der andere weniger. Aber jeder einzelne Spieler hat immer die Möglichkeit das Gespräch zum Trainer zu suchen, wenn er der Meinung ist, es wird zu wenig kommuniziert. Meine Türe steht jedem einzelnen Spieler jederzeit offen, ich würde nie sagen " Hör zu Junge, ich habe keine Zeit oder keine Lust!"
Oder er traut sich nicht hin?
Man sollte sich auch einmal an der eigenen Nase packen und nicht immer Ausflüchte suchen. Ein Spieler der angeblich Angst davor hat, mit dem Trainer zu reden, dann aber wiederrum öffentlich Kritik übt, das traut er sich dann schon.
Christoph Daum hat eine medizinische Datenverwaltung vermisst. Ist dort Abhilfe geschaffen? Und was fehlt noch?
Wir haben im Prinzip eine neue ärztliche Abteilung, damit sind wir sehr zufrieden.
U23, A-Jugend, gehen Sie da auch vorbei?
Klar, das ist wichtig, es ist immer jemand von unseren Trainern dort, wenn ich selbst keine Zeit habe, ist mein Assistenztrainer oder ein anderer Kollege aus dem Trainerstab vor Ort. Wobei es fast noch wichtiger ist, die A-Jugend anzuschauen.
Wo sehen Sie die Eintracht in zwei Jahren?
Ich hoffe, in der 1. Liga.
Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für die Fragen genommen haben und viel Erfolg!
Nachgereicht (In Kasten in das Interview in der Printausgabe eingklinkt):
Armin Veh:
"Fußball könnte so schön sein, wenn nicht dauernd was Blödes passieren würde."
(nominiert für den Fußballkultur-Preis 2011 in der Kategorie "Spruch des Jahres" durch die Deutsche Akademie für Fußballkultur, Entscheidung am 28.10.11)
Punktausbeute der
Drittplatzierten der 2. Liga:
2010/11: 65 Punkte
2009/10: 62 Punkte
2008/09: 60 Punkte
2007/08: 60 Punkte
2006/07: 60 Punkte
2005/06: 58 Punkte
2004/05: 61 Punkte
2003/04: 54 Punkte
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