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45 Punkte plus x – eine „gestiegene Erwartungshaltung des Umfelds“? |
Eintracht aktuell: Diskussionen um Aufsichtsrat und sportliche Zielsetzung / Riederwaldfinanzierung
von Stefan Minden
Journalisten und Fußballfans haben eines gemein: Sie mögen die Langeweile der Sommerpause nicht. Solange der Ball nicht rollt, solange nicht Ergebnisse und Erlebnisse diskutiert und ausgetauscht werden können, füllen sich die Zeilen der Presse ebenso schwerfällig wie sich Gespräche über das aktuelle Fußballgeschehen führen lassen. Ein jeder bemüht sich redlich, das Sommerloch auf seine Weise zu füllen. Eintracht Frankfurt trug dieses Jahr nur mit ein paar Diskussionen um die sportliche Zielsetzung bzw. die Verwendung der zuletzt erwirtschafteten Überschüsse bei. Frankfurt wäre aber nicht Frankfurt, wenn sich auch aus diesen eher beschaulichen und übersichtlichen Themen nicht Grundsatzdiskussionen über das sog. „Umfeld“, mit Schwerpunkt auf den Aufsichtsrat, bzw. mal wieder über das Verhältnis von AG zu Verein entwickeln ließen...
Es gab Zeiten, da hat Eintracht Frankfurt das Sommerloch weit unterhaltsamer und medienträchtiger ausgefüllt als zuletzt. Im Sommer 1999 etwa, als die Eintracht-Führung – die Sinne noch benebelt vom wundersamen 5:1 über Lautern – mit viel geliehenem Geld und leider deutlich weniger Sachverstand in Kaufrausch verfiel und so Granaten wie Salou, Guie-Mien und Erol Bulut an den Main holte. Ein Jahr später begannen dann, pünktlich zum Sommerloch 2000, die leider noch sachunkundigeren neuen Herren der neu gegründeten AG ihr Werk. Der millionenschwere Umzug in ein mondänes Westendbüro am Grüneburgweg signalisierte nicht nur die totale Abkehr vom „Vereinsmeiertum“ am Riederwald, sondern bildete auch die Ouvertüre zum nun folgenden und oft bestaunten Lehrstück „Octagon proudly presents: wie verbrenne ich am schnellsten und sinnlosesten 50 Millionen Mark?“. Der Erfolg war beeindruckend und ermöglichte die gediegene Überbrückung des nächsten Sommerlochs im Jahr darauf. Denn schon im Sommer 2001 waren nicht nur die 50 Mio.’s weg, sondern Frankfurt auch wieder Zweitligist – ein wirklich passender Rahmen, um der staunenden Öffentlichkeit nun so innovative Dinge wie die „Laufgruppe Lippert“ zu präsentieren (ein teures Unterhaltungsprogramm für ausgemusterte und überbezahlte Profis), nebst diversen Darlehen, um als angeblicher „FC Bayern der zweiten Liga“ mit dem höchsten Etat aller Zweitligisten den sofortigen Wiederaufstieg anzupeilen. Das grandiose Scheitern auch dieses Plans sollte dann nicht nur zum Rückzug Octagons führen, sondern damit zugleich auch den Grundstein zur nicht minder spannenden Überbrückung des nächsten Sommerlochs legen: Im Sommer 2002 wird die Öffentlichkeit schließlich bestens durch den sog. „Lizenzkrimi“ unterhalten. Ganzjährig stand sodann Volker Sparmanns Lieblingsposse auf dem Spielplan („am nächsten Freitag präsentiere ich den Investor“), wodurch allerdings dieses Thema zu abgenutzt war, um noch auf dem mittlerweile gewohnt hohen Niveau für angemessene Unterhaltung in der folgenden Sommerpause zu sorgen. Für das Sommerloch 2003 ließ sich die Eintracht daher etwas ganz besonderes einfallen: Ein leibhaftiger „business angel“ namens Dr. Peter Schuster („Dr. Seltsam“) wurde von besorgten Politikern weiß Gott wo ausgegraben, zum Vorstandsvorsitzenden erkoren und unterhielt hinfort das staunende Publikum mit geschliffenen Vorträgen über Milestone-Monitoring, beschränkte Fußballerhirne und die Vorzüge von Wirtschaftsjournalisten gegenüber den Kollegen vom Sport.
Ja, das waren alles echte Schenkelklopfer für all jene, die das Geschehen um unsere Eintracht allenfalls interessiert, aber nicht wirklich emotional nahestehend beobachten. Und zugleich schwerste Prüfungen für all diejenigen, die den Adler im Herzen tragen. Die Eintracht war erst durch „feindliche Übernahme“ in die Hände ahnungsloser amerikanischer Vermarktungsstrategen und Finanzinvestoren (Octagon) gefallen und dann, nach deren Rückzug, ein Spielball nicht minder ahnungsloser Politiker geworden, die sich allein um die Refinanzierung des mit öffentlichen Mitteln bewerkstelligten Stadionneubaus sorgten und der Eintracht am liebsten einen weiteren „Finanzinvestor“ aufgedrückt hätten.
Die Serie der aus dieser Konstellation resultierenden Peinlichkeiten endete dann mehr oder weniger abrupt; und das Ende des alljährlichen Eintracht-Wahnsinns lässt sich relativ punktgenau datieren sowie, zumindest auf Vorstandsebene, auch personell festmachen: Mit Heribert Bruchhagen, der seinen Dienst im Dezember 2003 antrat, kehrte endlich wieder so etwas wie Seriosität und Professionalität bei der Eintracht ein. Das ist, ganz klar, ein großer Verdienst Bruchhagens, der mit Augenmaß, Fußballsachverstand und – wie er selbst zugibt – einer gewissen Portion Glück die Eintracht sportlich und wirtschaftlich wieder in Regionen führte, von denen wir uns vor gar nicht allzu langer Zeit noch eine Ewigkeit entfernt zu haben schienen.
Als nun Herbert Becker, der Vorsitzende des Aufsichtsrats (auf dem Foto links), Ende Juli im Anschluss an eine Sitzung des Aufsichtsrats seine Erwartungen an die neue Saison öffentlich machte („45 Punkte plus x“, „einstelliger Tabellenplatz“), schlugen die Wellen plötzlich hoch, manch einer witterte bereits einen Rückfall in frühere Zeiten. Alte Schreckgespenster wurden gesichtet, Geschichten von Grabenkämpfen, internen Unstimmigkeiten heraufbeschworen, manch einer spekulierte gar über angebliche Bestrebungen, Funkel und/oder sogar Bruchhagen zu entmachten usw. Im Forum der Eintracht-Homepage überschlugen sich die Beiträge; der thread „Herbert Becker noch (er)tragbar?“ erhielt rasch Hunderte von Antworten mit beißender, teilweise ätzender Kritik am Aufsichtsratsvorsitzenden. Nicht minder spektakulär der von einem weiteren User verfasste Aufruf, bei der nächsten Mitgliederversammlung Peter Fischer als Präsidenten abzuwählen, wegen „versuchter Demontage“ des AG-Vorstands. Auch dieser thread erhielt fast zweihundert Antworten.
Nun ist das Forum der Eintracht-Homepage gewiss nicht überaus repräsentativ für die Frankfurter Fanszene im engeren oder gesamte Eintracht-Anhängerschaft im weiteren Sinne. Aber trotzdem gibt es Stimmungen wieder, die wohl auch außerhalb des beschränkten Kreises der Forumsnutzer anzutreffen sind.
Diese teilweise heftigen Reaktionen, wie sie im Forum nachzulesen sind, stehen in keinem Verhältnis mehr zu ihrem Anlass (den öffentlichen Erklärungen Beckers). Diese sind immerhin gefallen, nachdem der Aufsichtsrat gemeinsam mit der sportlichen Leitung sowie dem AG-Vorstand die sportliche Situation und Zielsetzung besprochen hatte. Die Zielsetzung „45 Punkte plus x“ war dabei, wie später zugegeben wurde, von Friedhelm Funkel selbst genannt und vorgegeben worden. Zwar hat auch die „seriöse“ Presse angesichts früherer, zurückhaltender Formulierungen („40 Punkte plus x“) Überlegungen angestellt, inwieweit die Becker’schen Äußerungen als Ausdruck interner Unstimmigkeiten über den weiteren Werdegang der Eintracht bzw. die einzuschlagenden Wege zu werten seien. Das allgemeine Räsonieren über eine „gestiegene Erwartungshaltung im Umfeld“ blieb dabei natürlich nicht aus. Aber über einen Generalangriff auf Bruchhagen oder gar eine Strategie bestimmter Kreise, die kurzfristig die Entlassung Funkels und mittelfristig die Entmachtung Bruchhagens zum Ziel hätte, hat nicht einmal im dicksten Sommerloch ein Journalist spekuliert.
Wenn derartiges aber in Teilen der Anhängerschaft vermutet (und im Eintrachtforum veröffentlicht) wird, dann ist diese Übertreibung wohl nur durch die traumatischen Erlebnisse der Prä-Bruchhagen-Ära erklärbar, wie sie oben noch mal kurz skizziert wurden. Der geneigte Eintrachtfan als solcher, der die Zeiten Rainer Lebens, octagons, Sparmanns und Dr. Schusters erleben und ertragen musste, der in schlechten Zeiten um die Lizenz und damit Existenz der Eintracht zittern und in „guten“ Zeiten nur das Gespött der anderen ertragen musste, genießt derzeit einfach nur die Ruhe und Seriosität, die mit Bruchhagen eingekehrt ist.
Nur so ist auch erklärbar, dass man in die relativ harmlose Zielsetzung, die zudem exakt den mittlerweile getätigten Aussagen der sportlichen Leitung entspricht, einen Aufruf zum Rückfall in längst überwundene Zeiten hineininterpretiert, als nicht vorhandenes Geld in vermeintliche Kracher gesteckt wurde, die glorreichere Ergebnisse garantieren sollten. Selbst wenn – gegebenenfalls auch konträr – darüber diskutiert wird, wie und mit welchem finanziellen Aufwand noch eine Spielerverpflichtung getätigt werden sollte: Niemand, aber auch wirklich niemand im sog. „Umfeld“ der Eintracht (und schon gar niemand aus dem Aufsichtsrat) regt eine Kreditaufnahme oder Vorfinanzierung künftiger Einnahmen an! Mittlerweile hat jeder, aber auch wirklich jeder bei der Eintracht begriffen, wie wertvoll eine seriöse Finanzplanung ist. Es geht lediglich nur darum, ob man das vorhandene (zuletzt durch überplanmäßige DFB-Pokal- und UEFA-Cup-Einnahmen eingenommene) Geld investiert oder erst einmal liegen lässt. Hierzu kann man gewiss unterschiedlicher Auffassung sein, und letztlich hängt die „richtige“ Antwort wohl auch stark davon ab, was bzw. wen man für das derzeit vorhandene Geld bekommen könnte.
In Frankfurt hat sich Heribert Bruchhagen durch seine Arbeit einen legendären, nahezu unheimlichen Ruf erworben. Vielen Anhängern gilt er mittlerweile nicht nur als Garant für wohltuend ruhige und sportlich befriedigende Eintrachtzeiten, sondern nahezu als unfehlbar. Bei allem Respekt vor Bruchhagen und seinen unbestritten enormen Verdiensten um die Eintracht: Unfehlbar ist niemand. Und dass man in der Vergangenheit alles oder zumindest vieles richtig gemacht hat, schützt nicht davor, vielleicht in der Gegenwart oder in Zukunft auch mal einer Fehleinschätzung zu unterliegen.
Deswegen ist letztlich niemandem damit gedient – auch der Person Bruchhagen nicht und der Eintracht als solcher schon gar nicht – wenn die handelnden Personen im Vorstand von vorneherein über jede Kritik erhaben und deshalb von der Notwendigkeit entbunden sind, ihr Tun oder Unterlassen zu diskutieren, zu hinterfragen und in den Gremien zu rechtfertigen.
Dass auch ein Heribert Bruchhagen nicht davor gefeit ist, (kleinere) Fehler zu begehen, bewies er neulich im Zusammenhang mit dem Neubau des Riederwalds bzw. des dortigen Leistungszentrums: Als er nach seiner Urlaubsrückkehr zu der zwischenzeitlich insbesondere von der BILD-Zeitung lancierten Aktion „holt endlich noch einen Spieler!“ und dem dabei lancierten Gerücht, die Eintracht habe noch zehn Millionen Euro für Neueinkäufe zur Verfügung, befragt wurde, entfuhr ihm die Äußerung: „Das ist absolut falsch und hat auch nie jemand gesagt. Wir haben zwar in der vergangenen Saison gut verdient, aber wir hatten auch große Ausgaben. Und nun kommen zusätzliche Ausgaben für den Neubau des Riederwaldes dazu. Diesen Palast bezahlen im Endeffekt wir“.
Die Bezeichnung des Riederwald-Neubaus als „Palast“ ist nicht nur absolut unzutreffend, weil dort an allen Ecken und Enden gespart und alles andere als ein Palast entstehen wird. Diese Äußerung ist insbesondere deshalb unglücklich und unklug, weil – wie Bruchhagen weiß – noch Verhandlungen über öffentliche Zuschüsse bzw. öffentlich geförderte Kredite laufen. Da kommt es wenig gut an, wenn selbst der „Eintrachtboss“ in seiner Wortwahl Assoziationen zu vermeidbarem Luxus oder zu vorhandenen Einsparpotentialen weckt. Und inhaltlich, auch wenn man die Bruchhagen’sche Zielsetzung (Dämpfung der Erwartungen bezüglich des für Neuverpflichtungen zur Verfügung stehenden Kapitals) berücksichtigt: Wer anderes als die AG sollte denn den Großteil des Riederwalds finanzieren? Schließlich entsteht dort das Leistungszentrum des Nachwuchsfußballs, dessen Errichtung eine Voraussetzung für die Lizenz ist. Am Riederwald wird die Nachwuchsarbeit im Fußballbereich geleistet, es werden die Spieler ausgebildet, die später von der AG unter Vertrag genommen und/oder gegebenenfalls auch gegen Ablöse abgegeben werden; zudem steht dort ein Fanshop der AG usw. Und, einmal ganz abgesehen davon: Wieso betont Bruchhagen, dass „wir“ (also die AG) „denen“ (also dem Verein) etwas zu zahlen habe? Reden wir nicht von einer Eintracht; und ist nicht, wenn überhaupt, die AG „nur“ die Tochter des Muttervereins? Ist nicht der Verein Hauptgesellschafter der AG und deshalb ohne weiteres befugt, über die Verwendung der AG-Gewinne zu bestimmen? Ist dieser sprachliche Rückfall in die Zeiten der Prä-Bruchhagen-Ära, als sich Verein und AG weit weniger harmonisch und konstruktiv gegenüber standen, wirklich nötig gewesen, um die von der BILD-Zeitung geschürten Erwartungen bezüglich Neuverpflichtungen zu dämpfen? Bruchhagen selbst wird wissen, dass diese Äußerung zu seinen wenigen verunglückten Interviews gehört.
Trotz aller Diskussionen um Neuverpflichtungen, Riederwaldfinanzierung, sportlichen Ambitionen etc. – und trotz der hierzu zuweilen zutage tretenden unterschiedlichen Ansätze der verschiedenen Verantwortlichen: Letztlich war auch die Sommerpause 2007 wieder von einer in Frankfurt früher undenkbaren Har-monie und Ruhe geprägt. Dies darf, dies kann, dies muss man als Eintracht-Fan einfach genießen.
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