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Drehbericht zu "Futbol fanatico"

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Drehbericht "Futbol fanatico": Voller Einsatz beim Filmdreh in Argentinien

Text: Jörg Heinisch, Ausschnitte aus einem Beitrag aus "Fan geht vor" Nr. 144, (Mai 2006)

Fari kam im Februar 2006 die Idee, einen Film über die unvergleichliche Atmosphäre in argentinischen Stadien zu drehen, um damit diesen extremen Fußballfanatismus als Antrieb für Groundhopping-Reisen besser nach Außen darstellen zu können, aber auch den europäischen Fans als Gradmesser vorzuführen.

Nach nur wenigen Wochen brachen Fari und ich zu unserer Low-Budget-Produktion auf, für die ausschließlich wir beide das Geld investierten. Der Gedanke an die Realisierung des hoffentlich mitreiβenden Films trieb uns voran. Gebucht wurden Flüge mit Iberia inklusive Umsteigen in Madrid (hin) bzw. Barcelona (zurück). Die Unterkünfte in Argentinien waren bei Bekannten von Fari bzw. in günstigen Hotels geplant.

Die ersten 24 Stunden

Um 3:20 Uhr morgens war ich aufgestanden. Nach dem Umsteigen in Madrid begann der 12,5 Stunden lange Flug entlang der afrikanischen Westküste, südwestlich über den Atlantik und dann über die brasilianische Küste und Uruguay hinweg nach Buenos Aires. Um 21:00 Uhr Ortszeit war die argentinische Hauptstadt erreicht. Mit einem budgetschonenden Express-Bus, der schnell überfüllt war, steuerten wir den groβen Busbahnhof der Metropole an, von dem wir aus mit einem Nachtbus in zwölf weiteren Stunden Cordoba erreichen wollten, wo das erste Spiel zwischen den beiden Tabellenletzten anstand. Doch den Busbahnhof hatten wir noch immer nicht erreicht. Unsere Nasen hatten nach dem lufttrockenen Flug bereits genug Erfahrungen gesammelt. Nicht nur wir muffelten nach dem Flug im Bus. Die Luft war immer wieder durch groβen Gestank (von draußen) eigentlich nicht mehr zum Atmen nutzbar, von dem ganzen Dreck (über Feinstaub würde man hier nur lachen) in der ganzen Luft zu schweigen. Grinsend und kommentierend verfolgte Südamerika-Profi Fari meine Wahrnehmungen und Ermüdungserscheinungen.

Inzwischen waren wir die letzten Fahrgäste. Jetzt stellte sich heraus, dass wir zwar nicht wirklich falsch im Bus saβen, aber der (Fern-)Busbahnhof nicht angefahren werden sollte. Wir wechselten in ein Taxi und hatten das Zwischenziel schnell erreicht.

Die Anzahl von 70 Haltestellen für einen Busbahnhof verdeutlichen auch den Stellenwert dieses Verkehrsmittels in Südamerika. In Argentinien werden kaum noch Bahnstrecken unterhalten. Der ferne Westen, Norden und Süden sind nur noch per Bus oder Flugzeug zu erreichen. Lediglich La Plata im Südosten hat noch eine Zugverbindung nach Buenos Aires.

Zumindest ich hielt einen teilweisen Kleiderwechsel für dringend geboten und nutzte die öffentlichen Wasch-Anlagen des Busbahnhofs. Um 2:30 Uhr fuhr der Nachtbus los. Schon nach wenigen Minuten Fahrzeit war klar, dass sich die Situation für meine Nase nicht verbessert hatte. Die Brühe in dem sonst komfortablen Bus war unerträglich. Ich erinnerte mich an Faris Bericht zu einer endlos langen Busfahrt durch Bolivien mit Einheimischen und seine Wortwahl von wegätzenden Nasenflügeln - dabei war das hier sicherlich absolut nichts dagegen. So versuchte ich irgendwie, für das Einnicken die Atmung sicherzustellen, während der Busfahrer - blind vor Nebel - in den Morgen hineinraste.

Die ersten Szenen

Was den Filmdreh betraf, hatten wir ein ernstes grundlegendes Problem: Schön und gut, wenn man solch eine Idee hat. Doch für die wichtigsten Szenen im Stadion benötigt man eigentlich eine Genehmigung. Auch in Argentinien sind die TV-Rechte an den Spielen natürlich vergeben. Spielszenen waren damit tabu, wenngleich die Dokumentation des NDR von 2002 über Fari in Brasilien, "Abenteurer Groundhopper", ein paar Sekunden darüber zu erhaschen waren. Doch im Vordergrund standen ja die Ekstase-Szenen auf den Tribünen, von denen so viele Betrachter der NDR-Dokumentation mehr sehen wollten, wodurch bei Fari schließlich die Idee zu diesem Film geboren wurde. Mit der Wahl von Argentinien statt Brasilien wurde das von den Anhängern her extremste Land ausgewählt. Die Nahaufnahmen wollten Fari aus dem Innenraum heraus machen. Ein umgenähter Kulturbeutel mit Geheimöffnung sollte notfalls die Aufnahmen sicherstellen. Doch um in den Innenraum zu kommen, war eine generelle Akkreditierung für die argentinische Liga in einem Büro in Buenos Aires notwendig, die er bereits zuvor mehrfach bei seinen Reisen erhalten hatte. Nachdem der Flug gebucht war, hatte Fari bei einem Anruf in dem Büro erfahren, dass am Tag nach unserer späten Ankunft ein Feiertag sei und das Büro daher schon einen Tag vor dem Wochenende geschlossen sei. Wer konnte das ahnen? Dieser der Befreiung der Militärdiktatur geltende Feiertag galt sogar erstmals. Da neben dem Zahlen eines Geldbetrags und der Vorlage eines Passfotos auch vor Ort eine Unterschrift geleistet werden musste, konnte niemand vorgeschickt werden. Damit waren Aufnahmen aus dem Innenraum für die ersten Spiele unmöglich geworden.

Der Innenraum als Kameraposition bedeutete auch die garantierte Sicherheit vor den Anhängern auf den Tribünen, unter denen es viele gibt, denen die Videoaufnahmen nicht passen - erst recht nicht, wenn man in ihr Gebiet eindringt. Die Gewaltbereitschaft unter den Hinchas durfte nie unterschätzt werden. Ohne Vorwarnung konnten von einem in den anderen Moment Situationen umschlagen und man selbst als ausgemachter Fremdkörper auch eines Spionageverdachts unterliegen, um plötzlich mehrere Gegner, die wiederum andere mitreiβen, gegen sich stehen zu haben. So galt es, höchst vorsichtig zu sein und keinesfalls Gesundheit oder Kamera zu riskieren. Entsprechend war es ausgeschlossen, bei als besonders gefährlich bekannten Fangruppen in die Blöcke einzudringen.

Graffiti_in_Cordoba_klein.JPGIn Cordoba traf Instituto mit Racing auf einen Gegner aus Buenos Aires. (Die Hälfte der 20 Erstligisten stammt aus Buenos Aires.) Eher per Zufall erfuhren wir, dass das Spiel aufgrund vorheriger Ausschreitungen vom klubeigenen Stadion in die weit offenere Schüssel verlegt wurde, in der bei der WM 1978 Deutschland seine Schmach gegen Österreich erlebte. Nach der daraufhin durchgeführten Besichtigung des engen Klubstadions mit seine steilsten Rängen und über 5 Meter hohen Zäunen ärgerten wir uns. Das hätte beeindruckende Aufnahmen geben können, wäre hier gespielt worden.

Trotzdem konnten wir auch hier schöne Motive mitnehmen. Nicht unzufrieden mit den Aufnahmen von unserem ersten Spiel am Abend (1:0 für Instituto), aber auch eine belastende Erkältung bei mir durch Zugluft auf dem Buckel, ersparten wir uns neuerliche zwölf Stunden Bus und wählten doch das Flugzeug zurück nach Buenos Aires.

Zurück in der Hauptstadt bezogen wir unser Quartier an einer zentralen Stelle, die für Fari mit vieler persönlichen Erinnerungen verbunden ist. Aus dem heruntergekommenen Hotel für Gastarbeiter, das in allen Jahren für ihn immer Ausgangspunkt von Touren in Argentinien war, hatte sich nach dem Tod des Inhabers eine durch den Sohn vorangetriebene Jugendherberge (Hostel) entwickelt, die erst im November eröffnet wurde.

Das zweite Spiel am Abend mit den Hauptstadt-Vereinen Velez Sarsfield und Arsenal (0:0) brachte prächtige Stimmung mit sich, aber direkt vor Spielende auch die Aufforderung an mich (ich hatte mich direkt unter den harten Kern der Hinchas gewagt), zu gehen, da man es nicht mochte, an der Stelle aufgenommen zu werden.

Der Superklassiker

Das Spiel Boca vs. River sollte das Prunkstück unseres Filmprojektes werden. Die Szenerien rund um das Spiel wurden zuvor genau durchgesprochen und vor Ort groβflächig um das Stadion herum angesteuert. Ab vier Stunden vor Spielbeginn wurden Grillstationen, Fanbusse, Gruppierungen von Anhängern und Polizisten etc. ins Visier genommen und groβartige Szenen aufgenommen.

Von höchster Wichtigkeit war es, die Videokameras ins Stadion zu "schmuggeln". Das organisatorische Missgeschick, dass Fari noch nicht wie gewohnt als Fotograf in den Innenraum konnte, war bereits ärgerlich - Aufnahmen von den Tribüne her mussten hingegen noch besser überlegt sein, um auch qualitativ gute Bilder zu erhalten. Um die Kameras durch die Kontrollen auf die Tribünen mitnehmen zu können, schmiedeten wir einen Plan: Kamera 1 in handlicher Gröβe wurde in Faris Unterhose mitaufgenommen. Das führte zu einem humpelnden Gang beim Schwarzwälder, mit dem er durchkommen sollte, solange kein Kontrolleur von hinten oder vorne tiefergehende Blicke auf Faris Unterleib werfen würde. Kamera 2 wurde in eine Tasche meiner schwarzen Windjacke unten in den Rucksack gelegt. Auf diesem "Boden" kam ein Buch, darüber tatsächlich die Videotasche, in der allerdings nur meine unproblematische Digitalkamera und meine Brieftasche für die Füllung sorgten. Fari überlegte sich noch einen weiteren "Schachzug": einen Rucksacktausch, wodurch er beide Kameras während der Kontrolle dabei haben würde. Würde man eine Kamera bei ihm entdecken, so würde er mir diese übergeben, er aber mit der zweiten relativ sicher im Stadion sein, denn zwei Kameras würde man nicht bei ihm erwarten.

Die Realität sah dann weitaus unspektakulärer aus als die Planung. Stundelang waren wir bereits durch Polizeiabsperrungen um das Stadion gelaufen und bekamen mit Hinweis auf unsere Pressetätigkeit und entsprechendem ausweislichem Nachweis nie ein Problem. Als wir das letzte Mal an das Stadion wollten, um nun wirklich dort hineinzugehen, wollte die Polizei plötzlich wirklich in unsere Rucksäcke sehen, statt uns wie zuvor durchzuwinken. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir aber noch nichts "präpariert". Doch lediglich Faris Wasserflasche musste entfernt werden. So richtig wurde gar nicht nachgeschaut, wie die Sicherheitsabtastungen sowieso eher nur ein lasches Abklopfen der Hosen waren. Am Stadioneingang selbst - inzwischen waren die Rucksäcke "vorzeigbar" - interessierte nur, ob die Karte zum richtigen Blockzugang passte. Und wir hatten uns Gedanken gemacht … Im Stadion selbst gab es einige Anhänger mehr mit Videokameras. In Argentinien ist doch in jeder Beziehung alles anders ... auf Organisation, Regeln und Versprechen in allen Lebenslagen ist nichts zu geben ... jeder erzählt etwas anderes.

Wir bezogen in unterschiedlichen Bereichen des Stadions Position (variierten später auch) und erlebten mit 55.000 Zuschauern nicht nur ein Spiel mit Höhen und Tiefen beider Teams inklusive dreier roter Karten. Ein Intro und Gesänge der Massen auf beiden Seiten waren Extraklasse. Kein Wunder, dass bei dem berühmtesten Klassiker im Fuβball 27 TV-Anstalten aus der ganzen Welt vertreten waren. Mit auf Band hatten wir einen der kuriosesten Fahnenklaus der Fuβballgeschichte. Erst siebeneinhalb Stunden später - nach der Sichtung des gesamten Materials - fielen wir am Ende eines langen Tages völlig fertig, aber überglücklich in die Betten.

J__rg_Heinisch_Dreharbeiten_in_La_Plata_klein.JPGDie Zugaben

Tag 6 wurde mit ein paar Einstellungen im leeren, noch nicht gereinigten Stadion, organisatorischen Dingen sowie einem Zweitligaspiel am Abend zwischen Nuevo Chicago und dem 1.200 km nördlicher beheimateten San Martin (aus San Juan) verbracht (0:0). Hier liefen uns zwei Groundhopper über den Weg, die in den folgenden zwei Tagen auch noch die gleichen Spiele besuchten wie wir. Zu diesen Begegnungen gehörten nach 45 Minuten Zugfahrt (unentwegt Händler, die meist "vom LKW gefallene" Waren anboten) nach La Plata das Spiel von Gimnasia in einem neuen, aber noch nicht komplett fertigen Stadion gegen die Argentinos Juniors, bei denen einst Diego Maradona entdeckt wurde, der heute bei seinem letzten Verein, den Boca Juniors, mit seiner Familie die "Königsloge" belegt, deren Fenster öffnet und den Anhängern zuwinkt, um sich feiern zu lassen. Gimnasia traf sechsmal ins Tor, wobei zwei Eigentore dafür sorgten, dass es bis zum Ende (4:3) spannend blieb.

26.000 Zuschauer sorgten anschlieβend bei Racing vs. San Lorenzo für einen noch gröβeren Stimmungsknaller als bei Boca vs. River Plate. Man wusste gar nicht, wohin man noch die Kamera halten sollte, so ein nicht endendes Hin und Her gab es zwischen den Anhängern. Das "Feuerwerk" hatte zur Folge, dass wir nicht ausschlossen, einen Extra-Film zu diesem Spiel zusammenzustellen. 1:0 gewann Racing durch ein Tor kurz vor Ende. Der Tabellenletzte mit bis dahin erst drei Punkten aus elf Spielen entfachte bei seinen Anhängern die volle Ekstase. Die Videoaufnahme fesselten uns noch nach 2 Uhr in der Nacht, bis dann für nur knappe dreieinhalb Stunden Ruhe einkehrte. Denn schon um 6 Uhr klingelte der Wecker für den Überlandbus nach Rosario mit den beiden Spielen Tiro Federal (der dritte Klub der Stadt, Drittletzter) vs. Lanus (0:2, 400 Zuschauer, aber belegte Kabinen mit 43 Radio-Reportern) und dem Highlight des neuen Carlo_Farsang_Dreharbeiten_in_Rosario_klein.JPGTabellenführers Newell's Old Boys vs. Boca Juniors (1:1, 35.000 Zuschauer). Bei letzterem Spiel, einem eher ereignisarmen Kick auf dem Spielfeld vor allerdings beeindruckender Kulisse, misslang meine Aufnahme des Intros der Heimfans, weil mir trotz erhöhter Position ein Fan während des Intros auf eine Zwischenmauer sprang und den Groβteil des Sichtfeldes versperrte. (aber wir haben ja zwei Kameras ..) Gefrustet wegen der inzwischen nicht gerade idealen Sicht von meiner Tribüne machte ich mich noch vor Spielbeginn auf die Suche nach einer besseren Sicht und fand diese auf dem Dach der Haupttribüne, zu dem eine rostige, wackelnde Steigleiter ohne Sicherung und mit Stolperfalle hinaufführte. Diese Sicht entschädigte für alles! Bemerkenswert: Das Dach wippte stark, wenn auf den Tribünen gesprungen wurde. Im Film kann man dies bemerken.

Nicht alles läuft glatt

Zwei Tage blieben anschlieβend fuβballfrei. Diese wurden zur Materialsichtung und Schnittvorbereitung genutzt. Der ursprünglich fußballfreie Freitag erhielt im Rahmen der mehrmaligen Planänderungen doch noch eine Begegnung von uns zugeteilt. (Inzwischen gingen wir von insgesamt 15 statt acht Spielen in elf Tagen aus.) Belgrano aus der zweiten Liga hatte ein Heimspiel. Wie fast bei jedem unserer Spiele üblich bestiegen wir zur Anreise innerhalb von Buenos Aires ein Taxi, das für unsere Verhältnisse noch günstig ist - mit öffentlichen Bussen würde man ansonsten teilweise mehrere Stunden innerhalb der Stadtgrenzen unterwegs sein. (25 Pesos (ca. 8 EUR) bzw. 45 Minuten später (der Taxifahrer kannte den Weg nicht)) standen wir endlich vor dem Ground. Doch dort brannte kein Flutlicht. Alles war dunkel, niemand anzutreffen ... Dass Anstoßzeiten erst 24 Stunden vor Spielbeginn feststehen, kommt in Argentinien viel häufiger vor, als man denkt - immer wieder kommt es zu Änderungen. Aber hier war etwas schief gegangen, obwohl auch in diesem Fall auch erst am Spieltag die Anstoßzeit veröffentlicht worden war. Bald wussten wir den Grund: Belgrano aus der 2. Liga und der Klub, vor dessen Stadion hatten zwar den gleichen Namen, waren aber nicht identisch - er stammte aus Cordoba und nicht Buenos Aires ... (in der 2. Liga gibt es übrigens auch zwei Klubs, die "San Martin" heißen). Dies war also ein klassisches Groundhopper-Eigentor der Marke PEINLICH. So blieb der Freitag doch noch spielfrei.


Am Samstag waren drei Spiele vorgesehen. Nummer 1 ein Derby in der 2. Liga zwischen Tigre und Chacarita, für das die Gäste 7.000 Karten bestellt hatten, aber nur 1.200 erhielten. In das alte Stadion an der Stadtgrenze von Buenos Aires passen 30.000 Menschen hinein, zugelassen waren für dieses Spiel des Jahres für beide Klubs aus Sicherheitsgründen nur 20.000. Die Sicherheitsvorkehrungen und Stimmung rund um das Stadion machte klar, um welches heiße Eisen es sich handeln würde. Tatsächlich konnten Fari und ich nicht nur erneut hervorragende Videoaufnahmen machen, sondern auch noch zwei Spielunterbrechungen erleben, die es in dieser Form in Deutschland auch nicht geben würde. Auf Seiten der Gastanhänger hatte ein Fan eine der morschen Banklatten aus der Verankerung gerissen und war mit dieser Trophäe auf die Zaunhöhe geklettert ... Die Polizei bezog vor einer tobenden Meute auf dem Spielfeld Stellung, eine riesige Schar von Journalisten versammelte sich auf dem Platz um das Schiedsrichtergespann. Zwei viel zu knapp geschürzte Quasi-Cheerleader, die in der 2. Liga zum Sonnenschirmhalten für die TV-Reporter von einem Fernsehsender engagiert sind (…), tummelten sich genauso wie wer-auch-immer (natürlich auch Fari) um die Referees, die selbst in die beiden Kurven hinter die Tore gingen und dort mit Anhängern diskutierten. Und wir mit der Kamera immer dabei. "Noch ein Vorfall, und das Spiel wird abgebrochen", teilte der Schiedsrichter mit, nachdem an Droh- und Beleidigungsgesten so ziemlich alles von den Gästeanhängern zu sehen war. Mittlerweile hatte das Spiel bereits eine Verzögerung von 40 Minuten! (Endstand 1:0 durch einen Elfmeter)

Fari und ich hatten unsere Bilder und suchten ein Taxi, um Partie 2 aus der ersten Liga zwischen San Lorenzo und Quilmes anzusteuern. Nachdem wir in knapp einer Stunde mit dem Zug nach Tigre gefahren waren und dort auch noch einen Linienbus zum Stadion nehmen mussten, benötigten wir nun auf dem Rückweg ein Taxi, um das Spiel pünktlich erreichen zu können. Mit leichter Verspätung dank eines Staus erreichten wir trotzdem noch das Stadion von San Lorenzo - das Intro der Gastgeber war bereits Geschichte - dafür konnten wir den späten Einlauf der Quilmes-Anhänger hautnah im Gästeblock filmen. (Endstand 0:0) Noch vor dem Halbzeitpfiff saßen Fari und ich aber bereits im nächsten Taxi, denn der Anpfiff beim erhofften Highlight des Tages zwischen Independiente und Arsenal sollte bereits kurz nach dem Abpfiff des Spiels zuvor erfolgen.

Nun sollte es keine Zeitprobleme mehr geben. Durch einen Bedienungsfehler ging uns das Intro der Independiente-Anhänger und deren Einlauf leider doch verloren. Vor dem Hintergrund, dass der Gesang-Support der Heimanhänger zwar nicht schlecht war, aber wegen derzeitiger Unzufriedenheit über diverse Vorgänge im Verein keinesfalls so leidenschaftlich und in Ekstase war, wie dies üblicherweise bei Independiente ist, war der Verlust besonders ärgerlich.

Die Frage nach dem Spielbeginn

Der Sonntag hatte zwei Spiele auf unserem Plan. Zunächst wurde das Stadion der Argentinos Juniors aufgesucht, bei denen Racing zu Gast sein sollte. Rund um das Stadion befinden sich Malereien zu den Juniors an den Wänden, selbst in den Bereichen der Kassenfenster. Den Eintritt von 40 Pesos (ca. 12 EUR) war das Spiel für mich an diesem Tag nicht wert. Der von uns bereits auf Video festgehaltene Racing-Anhang enttäuschte zwar nicht, doch auf Seiten der Gastgeber waren einfach zu wenige Supporter anwesend, um das Intro mit einer geschlossenen Kurve noch imposanter zu gestalten. Der Support für die Juniors zeigte eben nicht diese Leidenschaft, wegen der wir nach Argentinien gekommen waren. (Endstand 2:0). Noch vor dem Schlusspfiff machten wir uns mit dem nächsten Taxi auf nach Lanus, das das inzwischen wieder als Tabellenführer auftretende River Plate empfing.

Anpfiff der Begegnung war laut der Tagesausgabe von "Olé" eigentlich 19:10 Uhr - so meinte es zumindest Fari. Doch schon kurz nach unserer Ankunft betraten die Teams um ca. 18:40 Uhr das Spielfeld ... man sollte erst gar nicht versuchen, dieses Land zu verstehen. Oder hatte "Planer" Fari nur wieder mal geschlampt? Einen Tag später erfuhr ich zumindest, dass 18:30 als Anstoßzeit bekannt gewesen wäre. Wie auch immer, wir waren noch rechtzeitig auf unseren Positionen und erlebten nicht nur ein super Intro, sondern auch ein klasse Spiel mit Sensationsergebnis (4:1, schon nach 45 Minuten 3:0 für Lanus) und Szenen, die wir abseits des Spielfeldes noch gesucht und hier gefunden hatten. Nach dem Spiel versuchten wir uns noch mit Aufnahmen mit versteckter Kamera unter den River-Fans und erwischten zumindest völlig überladene Linienbusse, bei denen sich die Anhänger an den Türen gerade noch festhalten konnten. (Schade, dass die Kamera nicht richtig ausgerichtet war und daher nicht in den Film genommen werden konnte; dafür aber in den Outakes) Nach dem Spiel reifte die Entscheidung, nicht von allen 14 erlebten Begegnungen Bilder zu zeigen. Die fünf Top-Spiele in Bezug auf den Support sollten im Mittelpunkt stehen - zwischen den Spielen sollte im knappen Rahmen trotzdem noch Platz für ausgewählte Impressionen bleiben. Der Superklassiker Boca - River sollte nicht im Sinne der üblichen Steigerung eines Films am Ende gezeigt werden, sondern gleich recht früh. Dafür sollte der Film emotional enden. Der Abend endete um 3 Uhr - die weitere Materialsichtung verschoben wir um eine Nacht.

Warum will uns kein Taxifahrer mitnehmen?

Der letzte Stadiontag brachte u.a. den letzten Versuch mit sich, einen Hubschrauber zu mieten, um Buenos Aires und mehrere Stadien aus der Luftperspektive festzuhalten. Der Preis von über 600 Dollar lag allerdings in keinem akzeptablen Verhältnis zum Nutzen. Damit war der Herzenswunsch von Fari gestorben.

Wir nutzten den Tag für einige Standbilder (u.a. aus dem obersten Stockwerks des Gesundheitsministeriums auf den berühmten Obelisken), bevor wir am Abend die letzte Partie (2. Liga Almagro - Talleres Cordoba; Letzter - Tabellenführer) in Angriff nehmen wollten. Doch wir kamen überhaupt nicht in Fahrt! Ein Taxifahrer nach dem anderen (vier!) lehnte es ab, uns den weiten Weg in den Stadtteil zu fahren, und bat uns, wieder auszusteigen. Wir konnten es nicht verstehen. Warum? Endlich! Taxi Nr. 5 setzte sich in Bewegung ... und stoppte nach 50 Metern. Nein, dorthin würde er nicht fahren, nicht in die "Provinz". Wir gingen zurück in unser Hostel und holten eine Straßenkarte, um Missverständnisse ausschließen zu können. Versuch Nr. 6: "Dorthin? Findet dort ein Spiel statt? Wer ist der Gegner?" Kurzes Überlegen. Mit einem Gegner aus Cordoba schien er kein Problem zu haben. (Wobei ich erst später erfuhr, dass fast parallel bei einem Zweitligaspiel in Cordoba ein Fan getötet worden sein soll.) Auf Nachfrage erfuhren wir, dass es sich um kein gefährliches Stadtviertel handeln würde. Ein paar Ecken weiter würde sogar die Maradona-Familie wohnen.

Schirmst__nder_ARG_06_klein.jpgDas Spiel vor geringer Kulisse wurde für uns zum Kultevent. Auch unser drittes Zweitligaspiel war eine TV-Live-Partie. Fari stand noch direkt vor dem Anstoß auf den Platz und filmte Schiedsrichter-Gespann, Spieler und ... die beiden knapp (so knapp, dass es im Gesäß-Bereich quasi gar nicht mehr knapper geht) angezogenen Schirmhalterinnen der TV-Station, von denen ihm eine plötzlich vor laufender Kamera auch noch ein Küsschen auf die Wange verpasste. Meine Idee, einer der beiden Chicas zu bitten, unseren Filmtitel in die Kamera zu sagen, verwirklichte Fari in der Halbzeitpause. Die Auserwählte sprach lächelnd professionell in die Kamera.

Das Spiel brachte eine Spielunterbrechung wegen aufgebrachter Heim-Fans, einen abgestochenen Reifen bei einem Bus der Gästefans und einen Endstand von 0:3 ein. Die Nacht wurde lange. Die Materialsichtung und -bestimmung musste vor dem Abflug abgeschlossen sein, da Arbeitstreffen in Deutschland nur schwer zu vereinbaren sein würden. Quasi ohne Schlaf (nur von bis 8 bis 9 Uhr, bei Schlappmacher Fari schon deutlich früher) erreichten wir mittags den Flughafen und hatten mit unseren etwa 14 Stunden aufgenommenem Material noch ca. weitere 18 Stunden im völlig überfüllten Flieger Richtung Frankfurt vor uns.

 
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